Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
Fuchs.
    Der lange Lauf stand fest, bewegte sich
nicht mehr. Nicht mehr viel Zeit.
    »Ach, eines noch, Füchslein... wie hast
du das arme Mädchen ermordet? Dein Magazin ist ganz voll.«
    Diesmal sackte der Kleine ganz
vornüber. Er hielt das Gesicht mit den Händen. Nichts mehr von dem fröhlichen
Berliner Jungen war an ihm. »So’n böses Wort«, sagte er. »Erstochen. Hab’ gar
keine Pille gebraucht. Erstochen!«
    Er schluchzte.
    Der Alte grinste teuflisch.
    »Erstochen?«
    »Ja.«
    Der kleine Fuchs warf sich nach hinten,
gegen die Lehne des Sessels. Er schlug mit dem Stuhl hintenüber, rollte zur
Seite wie ein Igel, wie in der vergangenen Nacht.
    Plopp. Plopp.
    Die zweite Kugel riß das Wattepolster
an seiner Schulter auf. Er schnellte hoch aus dem Liegen, kam auf die Knie. Der
Vorhang kreischte, riß ab an zwei Ringen. Dann war der Fuchs in der
Abstellkammer.
    Der Alte in seinem Sessel blieb ruhig.
Er hob die Pistole, roch genießerisch an der Mündung. Er grinste weiter. Mühsam
stand er auf. Das lange Sitzen hatte ihm nicht gutgetan. Steif wurde man und
unbeholfen. Er setzte die Brille auf. Dann ergriff er den Stock und stelzte
bedächtig auf den pendelnden Vorhang zu.
     
    *
     
    Der Raum war schmal und lang. An seinem
Ende war ein Fenster, ebenso breit wie die Tür. Beide Seitenwände waren durch
Vorhänge verdeckt, von gleichem Muster und von gleicher Farbe wie der am
Eingang.
    Sonst war alles leer. Ein schäbiger
Läufer bedeckte den Fußboden. Nur am Ende, auf der linken Seite, kurz vor dem
Fenster, da war etwas.
    Die Spitzen zweier ungeputzer Schuhe.
Sie sahen unter dem Vorhang heraus wie zwei verängstigte Mäuse.
    Langsam ging der Alte vorwärts.
    Er ging bis zur Höhe der Schuhe. Dann
wandte er sich halb um, immer noch bedächtig, immer noch auf den Stock
gestützt. Aber er drehte sich nach der falschen Seite. Er blieb stehen, mit dem
Rücken gegen die traurigen Schuhspitzen, er achtete nicht auf sie, als wenn sie
gar nicht da wären. Langsam hob er die Waffe mit dem langen Lauf, bis sie mit
der Mündung den Vorhang berührte und in der Höhe des Magens eines Menschen war.
    Noch nie hatte seine Stimme so
gesungen. »Ach, mein gutes Füchslein! So schön hättest du im Hellen sterben
können! Im Licht der ewigen Sonne! Nun muß es hinter diesem Vorhang sein, in
diesem ungemütlichen Zimmer! Ach, Füchslein! Du hast mich enttäuscht! So lange
bist du beim Geheimdienst! Daß du noch diesen wohlfeilen Trick benutzt... das
Wort billig widerstrebt mir... man zieht die Schuhe aus, stellt sich auf die
andere Seite, wenn zwei Vorhänge sich gegenüberhängen... ach, Füchslein! Solche
Dinge haben wir vor zwei Menschenaltern auf der Polizeischule schon gelernt...
ich habe eigens langsam gemacht, um dir zum Ausziehen genügend Zeit zu gönnen...
leb wohl, mein Freund! Leb wohl!«
    Plopp, plopp, plopp. Der Schalldämpfer
war gut. Ein blaues Wölkchen stieg von der Mündung auf. Der Vorhang wippte
dreimal zurück, wedelte leicht hin und her. Drei kleine Löcher saßen
untereinander in dem bunten, verschossenen Stoff. Dann geschah etwas.
    Der Vorhang hinter dem Alten beulte
sich vor. Es war eine stumpfe Ausbuchtung zuerst, als schlüge jemand mit der
Faust von innen dagegen. Sie wurde spitzer, ein steiler, harter Kegel.
    Eine Klinge schoß heraus.
    Durch das Gewebe, durch den teuren
Anzugstoff des alten Doktor Meise.
    Der Vorhang riß ab. Er fiel herunter.
Das Messer im Rücken des Doktors hielt ihn in halber Höhe.
    Meise stand noch ganz aufrecht. Er
straffte sich ein bißchen. Es sah fast aus, als wäre er jünger geworden.
    Er sagte mit klarer Stimme:
»Donnerwetter, Füchslein! Donnerwetter! Das hätte ich... nicht gedacht!
Wirklich... nicht!«
    Dann brach er zusammen.
    Der kleine Fuchs trat einen Schritt
vor. Jetzt war er wirklich bleich. Alle Müdigkeit der letzten Nacht drängte
sich in sein Gesicht.
    »Hast schon recht jehabt, alter Mann«,
sagte er leise. »Det ham wa jelernt, als wa noch kleen war’n.«
    Es tat so wohl, berlinern zu können.
Man wurde nicht gehänselt wegen des Dialekts.
    »Detwejen ha’ ick die Latschen eben
nich’ ausjezogen. Ick bin so stehenjeblieben, wie ick jestanden hab’. Nu haste
dir jeirrt. Hast nach de falsche Richtung jeschossen. Mensch, wat wird der
Hauswirt sachen zu die Wand.«
    Er bückte sich. Er zog den Vorhang ganz
über den Körper des Alten. Das matte Messing der Ringe war traurig, und der
Stoff sah aus, als wäre er nie zu etwas anderem bestimmt gewesen als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher