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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling
Autoren: Hans Gruhl
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kalt.
    »Verunglückt? Aber er war doch...«
    Wuck war schnell bei ihr, er hielt sie,
hatte den Arm um sie gelegt. Sie wäre nicht gefallen, aber es war gut so. »Es
ist nicht schlimm, Fräulein Barbara«, sagte er. Seine Stimme war gut und weich.
»Gar nicht schlimm. Alles schon repariert. Der ist zäh. Und jetzt verlangt er
nach Ihnen.«
    Sie konnte kaum sprechen. »Nach mir?«
    Er nickte. »Hm. Sie sollen ihn
besuchen. Jetzt gleich.« Er hob den Kopf. Seine Stimme wurde rauher. »Und du
auch. Sollst uns hinfahren. Und dann sollst du nach Hause und anrufen.« Er
sagte nicht wo, aber der kleine Fuchs wußte es. Er blinzelte, sah auf den
Boden, fuhr mit der Hand an den Kragen.
    Der Meister. Anrufen.
    Riesengroß war der Fehler gewesen. Er
hätte es vorher tun sollen, aber er hatte auf den Feigling gehört. Es war doch
alles so klar gewesen, so logisch. War das auch wieder ein verfluchter Trick,
eine Falle, die ihn abhalten sollte von der Vergeltung? Wer war Friedrich Wuck?
Kannte er ihn genau? Niemand kannte den anderen genau. Niemandem konnte man
vertrauen. Er versuchte zu lächeln. »Na, dann gehen wir? Worauf warten wir
noch?«
    »Richtig«, sagte der Wirt. »Worauf
warten wir?«
    Sie verließen die Wohnung in der
nächsten Minute.
    Der schweigsame Wirt.
    Fuchs mit dem Zweifel im Herzen.
    Barbara, die nicht wußte, wie nahe sie
dem Tod gewesen war.

X
     
    Als sich die Tür zögernd öffnete, sah
der Feigling den Engel. Ein Engel mit einem Faltenrock und einer roten Bluse.
Er hatte das süßeste Gesicht von Erde und Himmel zusammen. Eine braune, zart
aufgepustete Haarkugel mit rötlichen Reflexen, und zärtliche Augen darunter,
die feucht schimmerten. Er sah, wie der Engel erschrak und sich bemühte, es zu
verbergen. Eine sehr menschliche Regung für einen Bewohner des Himmels. Seine
Seidenwimpern zitterten neben der Stupsnase.
    Der Feigling lächelte und streckte die
Hand aus. Höllenqualen hatte er ausgestanden, seitdem er erwacht war. Es war zu
Ende. Barbara lebte.
    Hinter ihr sah er Friedrich Wucks
langes, ernstes Gesicht, und dann kam der kleine Fuchs. Barbara starrte mit
entsetzten Augen auf den Verband am Hals des Feiglings, aber er zog sie zu sich
herunter und küßte sie. »Ist nicht weiter schlimm«, sagte er.
    »Keine edlen Teile. Ich muß nur höhere
Kragen tragen.«
    Sie zitterte etwas in seinem Arm.
»Greis!« flüsterte sie.
    Er sah über ihre Schulter hinweg in das
Gesicht von Fuchs. Der bewegte leicht den Kopf hin und her mit einem Ausdruck
völliger Ratlosigkeit.
    Jakob nickte, schloß die Augen und
wühlte Barbaras Haar durcheinander.
    »Na, du alter Depp«, sagte der Wirt
rauh und gerührt. »Wie geht dir’s denn dann?«
    »Herrlich«, sagte Jakob. »Seit einer
Minute ganz ausgezeichnet.«
    Er küßte Barbara noch einmal. Mit dem
Zipfel seiner Bettdecke wischte er zwei Tränen von ihren Wangen. »Es ist
untersagt, in Krankenzimmern zu weinen«, sagte er. »Es ist eine heitere,
zuversichtliche Miene zur Schau zu tragen, um den Patienten aufzumuntern.«
    Zwischen Freude und Weinen wischte sie
in ihrem Gesicht herum. Das Make-up geriet durcheinander.
    »Geh zum Spiegel! Siehst aus wie ein
Indianer!«
    Sie küßte ihn auf die Nase. »Ganz
egal!«
    Fuchs kam von hinten mit einem Stuhl
für Barbara. »Na, du machst mir Freude! War gerade bei dir und hab’ dem Mädchen
von unserer Reise erzählt. Da kommt der an und schleift uns in die Karbolbude
hier!«
    Wuck sah ihn kurz und durchdringend an.
Er sagte nichts.
    »Wie is ‘n det passiert?«
    »Jagdunfall. Setz dich, Bärbelchen!«
    Fuchs fragte nicht weiter. Barbara
strich zart wie eine Feder über Jakobs Stirn. »Hast du Schmerzen?«
    »Keine Spur. Als ich die Masern hatte,
war’s schlimmer.«
    Der Wirt verzog sein Gesicht zu einem
faltigen Grinsen. »Die Hauptsache ist, du bringst noch Bier durch den Hals!«
    »Aber klar. Keinerlei Schwierigkeiten.«
    »Na also. Brauchst du irgendwas,
Jakob?«
    »Nichts. Das Wichtigste hab’ ich.«
    »Das sieht man.« Wuck blickte mit
Wohlwollen auf Barbara.
    »Dann wollen wir nicht weiter stören.
Drei sind zuviel für einen Kranken. Stimmt das, Fuchs?«
    »Stimmt.«
    »Außerdem mußt du telefonieren.«
    Der Kleine nickte vor sich hin.
    Hase musterte ihn kurz, sah dann zu
Wuck. Er wußte Bescheid, ohne fragen zu müssen. Sie waren es so gewohnt. Der
Meister hatte ihn und Fuchs vor dem furchtbaren Irrtum bewahrt. Alles andere
war gleichgültig.
    Wuck kam zum Bett, gab ihm die Hand.
»Wir sehen uns bald, Jakob.
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