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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss
Autoren: Marguerite Yourcenar
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tausendmal mehr verschrieben hatte als der Leib. Die Stunden schleppten sich hin. Die Unterhaltung stockte oder endete mit Vorwürfen; Sophie erfand lauter Vorwände, mein Zimmer nicht zu verlassen. Allein mit mir, suchte sie unbewußt jene Gelegenheiten, bei denen Frauen Männer vergewaltigen. Obwohl sie mich nicht reizten, liebte ich diese aufreibenden Duelle, bei denen mein Gesicht eine Maske trug, während das ihre nackt war. Das kalte und verräucherte Zimmer mit dem schäbigen Öfchen verwandelte sich in einen Fechtsaal, wo ein junger Mann und ein junges Mädchen ständig auf ihrer Hut, in steigender Erregung bis zum Morgen miteinander kämpften. Das erste Frühlicht brachte uns einen Konrad zurück, der müde und zufrieden war, wie ein Kind, das aus der Schule kommt. Ein paar marschbereite Kameraden, die mit mir zu den Vorposten gehen wollten, steckten ihre Köpfe in die offene Tür und wollten das erste morgendliche Glas Schnaps mit uns trinken. Konrad setzte sich neben Sophie, um ihr unter allgemeinem Gelächter die ersten Takte eines englischen Gassenhauers beizubringen. Er sah, daß ihre Hände zitterten, und gab dem Alkohol die Schuld.
    Ich habe mir oft gesagt, daß Sophie meine erste Weigerung vielleicht mit einer heimlichen Erleichterung aufnahm und daß ihr Vorschlag ein gut Teil Überwindung in sich schloß. Ihr einziges böses Abenteuer war noch so frisch, daß sie der körperlichen Liebe kühner, aber zugleich ängstlicher als andere Frauen entgegensah. Außerdem war meine Sophie schüchtern, was ihre gelegentlichen Anfälle von Mut erklärte. Sie war zu jung, um schon zu wissen, daß das Leben nicht aus plötzlichen Aufschwüngen und hartnäckiger Standhaftigkeit besteht, sondern aus Nachgeben und Vergessen. In dieser Hinsicht wäre sie immer jung geblieben, auch wenn sie sechzig Jahre alt geworden wäre. Aber Sophie wuchs sehr bald über jene Stufe hinaus, wo die Hingabe eine leidenschaftliche Willenshandlung darstellt, um jene andere Stufe zu erreichen, wo man sich mit der gleichen Natürlichkeit hingibt, wie man atmet, um zu leben. Fortan war ich die Antwort, die sie sich selber gab. Ihr früheres Unglück schien ihr durch meine Abwesenheit genügend erklärt zu sein. Sie hatte gelitten, weil die Liebe noch nicht über der Landschaft ihres Lebens aufgegangen war; und das machte die rauhen Wege, auf die die zufälligen Zeitläufe sie verschlagen hatten, noch rauher. Jetzt, da sie liebte, legte sie ihre letzten zögernden Bedenken eines nach dem anderen so selbstverständlich ab wie ein durchnäßter Reisender seine Kleider in der Sonne und stand nackt vor mir da, wie es noch keine Frau jemals getan hatte. Vielleicht konnte sie, nachdem sie all ihre Ängste und ihr Sträuben dem Manne gegenüber auf einen Schlag überwunden hatte, nun ihrem ersten Geliebten nur noch die bezaubernde Süße einer Frucht darbringen, die sich ebenso dem Munde anbietet wie dem Messer. Eine solche Leidenschaft stimmt allem zu und ist mit wenigem zufrieden. Ich brauchte nur in das Zimmer zu treten, wo Sophie sich gerade befand, so nahm ihr Gesicht sogleich jenen ausgeruhten Ausdruck an, den man im Bett hat. Berührte ich sie, so hatte ich den Eindruck, als verwandle sich alles Blut in ihren Adern zu Honig. Auch der beste Honig gärt mit der Zeit. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß ich für jeden meiner Fehler hundertfältig würde zahlen müssen und daß Sophies verzichtende Ergebenheit mir noch besonders zur Last gelegt werden würde. Die Liebe hatte mir Sophie wie einen Handschuh aus ebenso nachgiebigem wie festem Gewebe in die Hände gelegt. Es konnte geschehen, daß ich sie verließ und eine halbe Stunde später wie einen vergessenen Gegenstand auf derselben Stelle wiederfand. Ich war abwechselnd anmaßend und zärtlich zu ihr in der immer gleichen Absicht, sie noch verliebter und noch unglücklicher zu machen. Die Eitelkeit machte mich ihr gegenüber genauso schuldig, wie die Begierde es getan hätte. Später, als ich sie ernst zu nehmen begann, ließ ich die Zärtlichkeiten fallen. Ich war sicher, daß Sophie niemandem ihr Leid klagen würde, aber ich wundere mich, daß sie unsere seltenen Glücksstunden nicht Konrad gebeichtet hat. Es muß schon damals ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen uns bestanden haben, Konrad wie ein Kind zu behandeln. Man redet immer so, als ob Tragödien sich im Leeren abspielen, während sie doch stets durch ihren Hintergrund mitbedingt sind. Unsere glücklichen wie
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