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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss
Autoren: Marguerite Yourcenar
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Sophie war von einer verwirrenden Gradheit, die die Gelegenheit zu Mißverständnissen noch vermehrte. Ein Tisch aus Tannenholz, der nach Harz roch, trennte mich von diesem Geschöpf, das sich ohne Umschweife anbot, während ich mit Tinte ein immer zittriger werdendes Punktmuster auf eine abgenutzte Generalstabskarte zeichnete. Um jeden Verdacht auszuschalten, als wolle sie mich zum Komplizen machen, hatte Sophie ihr ältestes Kleid, ein ungepudertes Gesicht, zwei Holzschemel und die Nähe von Michel gewählt, der im Hof Holz spaltete. In diesem Augenblick, wo sie den Gipfel der Schamlosigkeit zu erreichen glaubte, würde ihre Naivität alle Mütter entzückt haben. Eine solche Offenherzigkeit war übrigens verschlagener als alle List; und hätte etwas mich in Sophie verliebt machen können, so war's der direkte Angriff dieses Geschöpfes, in welchem ich keineswegs eine Frau zu erblicken gewillt war. Ich wich zurück unter den nächstliegenden Vorwänden, die sich mir boten, und entdeckte zum ersten Mal, daß die Wahrheit unter Umständen einen gemeinen Geschmack haben konnte. Verstehen Sie mich recht: Ich fand die Wahrheit gemein, weil sie mich zwang, Sonja zu belügen. Von diesem Augenblick an hätte ich vernünftigerweise dem jungen Mädchen aus dem Wege gehen sollen; aber abgesehen davon, daß ein solches Ausweichen in unserer Lage nicht gerade leicht war, konnte ich diesen Wein, an dem ich mich keinesfalls berauschen wollte, doch nicht mehr entbehren. Ich gebe zu, daß eine solche Selbstgefälligkeit Fußtritte verdient, aber Sophies Liebe hatte in mir die ersten Zweifel an der Rechtmäßigkeit meiner bisherigen Lebensanschauung erweckt, während ihre völlige Hingabe mich eher noch in meiner männlichen Würde oder Eitelkeit bekräftigte. Das komische an der Sache war, daß ausgerechnet meine Kälte und meine Weigerung mir ihre Liebe erwarben. Sie hätte mich mit Abscheu zurückgestoßen, wenn sie bei unseren ersten Begegnungen in meinen Augen jenen Glanz bemerkt hätte, den sie jetzt in ihnen so verzweiflungsvoll vermißte. In einem Akt der Selbstbesinnung, der rechtschaffenen Naturen niemals schwerfällt, hielt sie sich wegen ihres tollkühnen Geständnisses für verloren: das hieß, nicht daran zu zweifeln, daß die Befriedigung des Stolzes genausoviel Genuß gewährt wie die Befriedigung des Fleisches. Wie die Frauen sich früher heroisch in ihr Korsett einzwängten, so zwang sie sich jetzt zu äußerster Zurückhaltung. Ich hatte nur noch die gespannten Muskeln eines Gesichts vor mir, das sich verkrampfte, um nicht zu zittern. Schon beim ersten Anlauf erreichte sie die Schönheit der Akrobaten und der Märtyrer. Mit einer einzigen Bewegung hatte das Kind sich ohne Vorbehalt oder Fragen auf den schmalen Grat einer hoffnungslosen und bodenlosen Liebe hinaufgeschwungen. Es war sicher, daß sie sich dort nicht lange halten konnte. Nichts erschüttert mich so sehr wie Mut. Ein so rückhaltloses Opfer verdiente mein rückhaltloses Vertrauen. Sophie hat nie geglaubt, daß ich es ihr jemals schenken würde, obschon sie nicht wußte, wie tief ich allen Menschen mißtraute.
      Gegen allen Anschein bereue ich es nicht, Sophies Hingabe in den Grenzen des mir Möglichen erwidert zu haben. Ich hatte sofort ihre unveränderliche Natur erkannt, mit der man wie mit einem Element einen ebenso gefährlichen wie verläßlichen Pakt schließen konnte. Man kann sich auf das Feuer verlassen, wenn man weiß, daß es nur brennen oder erlöschen kann. Ich hoffe, Sophie hat sich an jenes Leben, das wir Seite an Seite führten, ebenso wie ich, ein paar schöne Erinnerungen bewahrt. Es ist übrigens nicht sehr wichtig, da sie nicht lange genug gelebt hat, um ihre Vergangenheit auf Zinsen zu legen.
    Gleich nach Michaelis begann es zu schneien. Dann taute es und schneite es von neuem. Nachts sah das unbeleuchtete Schloß aus wie ein verlassenes Schiff inmitten einer Eisbank. Konrad arbeitete allein im Turm. Ich studierte die Depeschen, die meinen Tisch bedeckten. Sophie trat in mein Zimmer mit der tastenden Vorsicht einer Blinden. Sie setzte sich aufs Bett und schaukelte mit den Beinen, die in dicken Wollsocken steckten. Obschon sie sich sicherlich die bittersten Vorwürfe machte, daß sie sich nicht an die Bedingungen unseres Abkommens hielt, war sie doch sowenig imstande, ihre Frauennatur zu verleugnen, wie eine Rose aufhören kann, eine Rose zu sein. Alles in ihr verriet ihr leidenschaftliches Verlangen, dem sich die Seele noch
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