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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund
Autoren: Nicci French
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nicht den Eindruck zu erwecken, als würde ich sie hinter ihm zuschlagen, überfiel mich ein heftiges Gefühl von Übelkeit. Ich hatte mich so auf mein gemütliches Essen vor dem Fernseher gefreut, aber inzwischen war mir der Appetit gründlich vergangen. Ich trank nur ein Glas Wasser und ging ins Bett, fand jedoch keinen Schlaf.
    Meine Beziehung mit Brendan war so kurz gewesen, dass meine beste Freundin Laura, die zu der Zeit gerade in Urlaub war, nichts davon mitbekommen hatte. Als sie mich nach ihrer Rückkehr anrief, um mir zu berichten, was für eine wundervolle Zeit sie und Tony gehabt hätten, war die ganze Sache für mich so aus und vorbei, dass ich es gar nicht mehr der Mühe wert fand, Brendan zu erwähnen. Laura erzählte von dem Urlaub, dem Wetter und dem Essen, und ich hörte ihr zu. Als sie mich schließlich fragte, ob es in meinem Leben einen neuen Mann gebe, sagte ich nein. Sie antwortete, das sei aber seltsam, sie habe nämlich etwas Derartiges läuten hören. Ich entgegnete, die Sache sei nicht der Rede wert gewesen und außerdem vorbei, woraufhin sie kichernd meinte, sie wolle alles darüber hören. Ich antwortete, da gebe es nichts zu erzählen. Absolut gar nichts.

    2. KAPITEL
    Seit Brendans Abgang aus meiner Wohnung waren zwei Wochen vergangen. Es war halb drei Uhr nachmittags, und ich stand auf einer Leiter und streckte mich gerade, um mit meinem Pinsel die Ecke zu erreichen, als plötzlich mein Handy klingelte und mir klar wurde, dass es sich in meiner Jackentasche befand und ich meine Jacke nicht anhatte. Wir arbeiteten gerade an einem Neubau in Blackheath – lauter gerade Linien und viel Glas und Kiefernholz. Ich strich das Holz mit einer besonderen, fast transparenten Farbe auf Ölbasis, die für teures Geld aus Schweden importiert worden war.
    Rasch stieg ich von der Leiter und legte den Pinsel auf den Deckel der Dose.
    »Hallo?«
    »Miranda, hier ist Kerry.«
    Das war an sich schon ungewöhnlich. Wir trafen uns relativ regelmäßig, einmal im Monat oder so, meist bei meinen Eltern.
    Außerdem telefonierten wir etwa einmal die Woche, wobei ich immer diejenige war, die anrief. Sie fragte mich, ob ich abends schon etwas vorhätte. Ich war tatsächlich schon halbwegs verabredet, aber sie meinte, es sei wirklich wichtig, sie würde mich sonst nicht so kurzfristig fragen. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als ja zu sagen. Als ich einen Treffpunkt mit ihr vereinbaren wollte, stellte sich heraus, dass Kerry sich das alles schon genau überlegt hatte. In Camden habe vor kurzem ein ganz schlichtes französisches Restaurant eröffnet, dort werde sie für acht einen Tisch reservieren. Falls ich nichts mehr von ihr hörte, könne ich davon ausgehen, dass es geklappt habe.
    Ich war völlig baff. Sie hatte noch nie etwas Derartiges arrangiert. Während ich die Farbe auf die große Kiefernwand klatschte, überlegte ich, was sie mir wohl zu sagen haben könnte. Die entscheidende Frage war natürlich, ob es sich um etwas Positives oder etwas Negatives handeln würde, aber nicht einmal darauf fiel mir eine plausible Antwort ein.
    Innerhalb einer Familie ist man mit einem bestimmten Charakter geschlagen. Die anderen machen sich irgendwann ein Bild von einem, und dabei bleibt es dann, egal, was man tut.
    Man kann ein Kriegsheld werden, und trotzdem reden die Eltern immer nur über irgendeine vermeintlich lustige Angewohnheit, die man im Kindergarten hatte. Manche Menschen ziehen bis nach Australien, um das Bild hinter sich zu lassen, das ihre Familie von ihnen hat – oder von dem sie glauben, dass sie es hat. Das Ganze ist mit einem Raum voller Spiegel vergleichbar, mit Spiegelbildern und Spiegelbildern von Spiegelbildern und endlos so weiter. Man kann Kopfschmerzen davon bekommen.
    Ich war nicht nach Australien geflohen, sondern lebte keine zwei Kilometer von dem Haus entfernt, in dem ich aufgewachsen war, und arbeitete für meinen Onkel Bill.
    Manchmal kann ich gar nicht fassen, dass er mein Onkel ist, weil er so gar keine Ähnlichkeit mit meinem Vater aufweist. Er hat langes Haar, das er hin und wieder zu einem Pferdeschwanz bindet, und rasiert sich so gut wie nie. Noch bemerkenswerter ist, dass sich eine Menge reiche und trendige Leute darum reißen, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Mein Vater bezeichnet ihn nach wie vor als Maler und Tapezierer, und ich kann mich daran erinnern, dass er damals, als ich ein Kind war, mit einer wild zusammengewürfelten Schar von Taugenichtsen arbeitete und
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