Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Struensee

Der Fall Struensee

Titel: Der Fall Struensee
Autoren: Rita Hausen
Vom Netzwerk:
aufmerksam gemacht. Auf die Anregung seines Lehrers Reverdil hin hatte Christian eine größere Summe gespendet, um diesen Menschen zu helfen. Daraufhin hatte Christian ein Dankschreiben Voltaires mit einem Huldigungsgedicht erhalten.
    D er König, Struensee und Legationsrat Sturz machten sich auf in die Rue Saint Honoré und wurden von Madam Geoffrin herzlich willkommen geheißen. Nachdem man sich miteinander bekannt gemacht hatte, kamen sie alsbald mit Voltaire und D´Alembert ins Gespräch.
    Es lag nahe, sich über die bevorstehende Exekution zu unterhalten. Voltaire ereiferte sich über die Grausamkeiten und das Überhandnehmen der Hinrichtungen: „Dieses Mal geht es um einen Abbé, der verschiedene Diebstähle begangen hat. Ein paar Jahre Gefängnis wären eigentlich dafür angemessen. Kein Jahr vergeht, in dem man nicht in der Provinz unschuldige Familienväter zu einem fürchterlichen Tode verurteilt - und zwar so ruhig und wohlgemut - wie man etwa auf dem Hühnerhofe einem Truthahn den Hals umdreht.“ „Aber Frankreich ist doch eine gebildete und rechtschaffene Nation, die große Dichter und Philosophen hervorgebracht hat. Wie kann das sein?“, rief Struensee aus.
    D'Alembert warf die Arme in die Höhe und antwortete: „Unser Volk ist grausam. Es gibt in Frankreich vielleicht sieben-oder achthundert Personen der guten gebildeten Gesellschaft, die Blüte der Nation, durch die sich die Fremden täuschen lassen.“ Voltaire führte aus: „Wer würde es für möglich halten, dass Menschen, die sich für Bilder von Watteau, Boucher und Fragonard begeistern, sich gleichzeitig daran ergötzen, wie jemand gevierteilt wird. Die Damen der feinen Gesellschaft verfolgten genüsslich die Vierteilung von Damiens mit Operngläsern an reihenweise gemieteten Fenstern. Als die Pferde sich lange vergeblich anstrengten, Damiens zu zerreißen, rief eine Dame: Mein Gott, mir tun die armen Tiere leid. Und als es dann endlich glückte, dem Verurteilten einen Schenkel auszureißen, klatschte die Masse Beifall.“
    „ Solche Strafen wecken nur den Trieb zur Grausamkeit und tragen zur Verrohung des Menschen bei“, sagte Struensee bekümmert. „In der Tat. Die Leute sind schon völlig abgestumpft. Wenn man einen Delinquenten bloß hängt, erscheint niemand mehr, sodass man sich raffinierte Todesqualen ausdenkt, um das Interesse an Hinrichtungen wieder anzufachen“, kommentierte D´Alembert.
    Höhepunkt des Parisaufenthaltes war eine Einladung des französischen Königs nach Versailles. Struensee erinnerte sich deutlich an den großen Saal im Schimmer der Kerzen, mit den vielen Spiegeln, die spiegelnd und widerspiegelnd aus dem einen Saal eine Unzahl von Sälen machten, sodass der Raum sich magisch ins Unendliche zu dehnen schien.
    Die Wasserspiele schleuderten Fontänen hervor und erfüllten den Saal mit unablässigem Rauschen. Die Menschen in ihren üppigen, aufwendigen Roben gingen umher mit einem gefrorenen Lächeln und einstudierten Schritten. Stolze Damen mit Schönheitspflästerchen auf den Wangen, mit kühlen Augen und enttäuschten Mündern sprachen affektiert über die neueste Mode. Die Gesichter der Männer waren verwaschen, die Flut der Intrigen, Staatsgeschäfte und Finanzunternehmungen hatten längst jeden Ausdruck eines wahren Gefühles weggespült. Sie trugen eine Maske übertriebener Liebenswürdigkeit, hinter der sich nichts als innere Leere, Verzweiflung und ohnmächtiges Übelwollen verbarg.
    Der französische Hof: gepudert, parfümiert und in Seide. Und nicht weit davon die lichtlosen Zellen und Gänge der Bastille, die Dörfer mit den Erdhütten, in denen sich die abgemagerten Leiber von Männern und Weibern schlaflos wälzten, von Hunger gequält, von Flöhen zerbissen. Struensee war froh, als sich König Ludwig zurückzog und der Empfang frühzeitig sein Ende fand.
    In der Nacht wurde er von Graf Holck geweckt: „Doktor, um des Himmels Willen, wachen Sie auf! Der König bedroht uns mit seinem Degen. Er will niemanden zu sich lassen.” Struensee war sofort hellwach. Er fuhr in seine Schuhe und warf sich seinen Schlafmantel um. Holck und er liefen den Korridor entlang zum Zimmer des Königs. Holck hieb mit der Faust gegen die Tür. „Christian, ich bin es! Holck.”
    „Bleib draußen, Kanaille. Ich stoße dir meinen Degen durch den Leib”, schrie der König von innen. „Ich weiß, wer du bist. Du bist der Teufel. Verschwinde von hier!” Struensee schob Holck zur Seite und lauschte aufmerksam an der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher