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Der Fall Sneijder

Der Fall Sneijder

Titel: Der Fall Sneijder
Autoren: Jean-Paul Dubois
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nach Hause fahren.«
    »Nett von euch.«
    »Du siehst gut aus.«
    »Na ja.«
    »Hast du Schmerzen?«
    »Nein.«
    »Das ist schön. Mama hat nämlich gesagt, dass sie heute Abend verhindert ist, aber sie will morgen auf einen Sprung vorbeischauen, nachdem sie uns am Flughafen abgesetzt hat. Hast du Zeitungen da?«
    »Nein, aber ich möchte auch keine.«
    »Wir müssen früher als geplant abreisen, in der Kanzlei stapeln sich die Akten.«
    »Verstehe.«
    »Die Zahl unserer Kunden hat sich dieses Jahr fast verdoppelt, weißt du. In nicht einmal fünf Jahren sind wir zur bedeutendsten Kanzlei der Stadt avanciert.«
    »Und die Kinder?«
    »Denen geht es gut. Hugo und ich wollen ein Haus in der Nähe von Saint-Jean-de-Luz kaufen. Das Meer und die jodhaltige Luft im Sommer sind gut für die Kinder.«
    »Sicher.«
    »Du hast gar keinen Fernseher auf dem Zimmer.«
    »Ich möchte auch keinen.«
    »Tja, dann brechen wir mal auf. Wir müssen noch Koffer packen und ein paar Dinge einkaufen für die Familie. Hättest du vielleicht eine Idee?«
    »Ahornsirup.«
    Bei der Wiedergabe dieses einzigen Gesprächs, das ich drei Wochen nach dem Unfall und dem Tod meiner Tochter mit meinen Söhnen geführt hatte, habe ich weder etwas hinzugefügt noch etwas weggelassen. Ich hatte gehofft, sie würden angesichts ihres Todes wenigstens eine kleine Bemerkung machen, aber es fiel kein Wort. So wartete ich, bis sie an die Türschwelle kamen, bevor ich ihnen diesen einen Satz zuwarf: »Ich nehme an, ihr wisst Bescheid mit Marie.« Sie hielten inne und murmelten ein »Mama hat es uns gesagt«. Dann entschwanden sie wie zwei Diebe durch die Tür.
    Bis zum 10. Februar blieb ich im Krankenhaus und nahm vier Wochen an diversen Reha-Maßnahmen teil. Mir wurde geraten, einen Psychiater aufzusuchen, der auf posttraumatische Syndrome spezialisiert war – der letzte Schrei. So führte ich einige Gespräche, die mir weder behagten noch zu irgendetwas führten. Meine Vorbehalte spürend, rang mir derArzt am Ende jeder Sitzung das Versprechen ab, beim nächsten Mal wiederzukommen. Drei- oder viermal hielt ich Wort, bevor ich den Pakt ohne weitere Erklärung aufkündigte.
    Meine Rückkehr in unser Haus, das die meiste Zeit leer war, gestaltete sich eher schwierig, ja, mir fehlte das Krankenhausleben mit dem geregelten Rhythmus der Arztbesuche und Behandlungen. Als ich wieder von meinen Beinen Gebrauch machen konnte, überkam mich der unwiderstehliche Drang zu gehen. Trotz der Schmerzen schlenderte ich ziellos durch die Straßen, bis mich die Kräfte verließen, und kehrte dann per Taxi nach Hause zurück. Ich schritt alle Wege des Botanischen Gartens ab oder umrundete das Olympiastadion, doch habe ich nie herausgefunden, worauf der riesige schräge Turm fußte.
    Ich erhielt jede Menge Anfragen. Von Journalisten, die eine Reportage über meine Geschichte schreiben wollten, von Anteil nehmenden Radio- und Fernsehmoderatoren auf der Suche nach einem Live-Interview mit einem Betroffenen, ganz zu schweigen von den Verlegern, die bereit waren, mir beachtliche Vorschüsse zu zahlen, wenn ich ihnen von meinem Schmerz als Überlebender erzählte.
    Für nichts in der Welt wollte ich über diese Dinge reden. Das sprach sich allmählich auch herum, sodass die Anfragen wie ein erlöschendes Feuer allmählich nachließen.
    Einige Kollegen der SAQ riefen bei mir an, um sich nach meinem Zustand zu erkundigen – darunter auch der Abteilungsleiter, wenn auch aus weniger uneigennützigen Gründen. Zwei Monate nach meinem Unfall wollte er berechtigterweise von mir wissen, wann ich denn vorhatte, wieder die Interessen des Unternehmens zu vertreten und die Provinzmit französischem Wein zu versorgen, die seit meinem Fortgang, so scherzte er, fast nur noch chilenischen Wein trank. Wie aus der Pistole geschossen, erklärte ich, dass ich gar nicht zurückkehren würde und auch um keine Weinflaschen mehr feilschen wollte.
    Beim Auflegen hatte ich erstmals den Eindruck, in meinem Leben etwas richtig gemacht zu haben.
    Als ich Anna meine Entscheidung mitteilte, reagierte sie ziemlich erbost und mit einer unerwarteten Schärfe.
    »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee war. In deinem Zustand solltest du besser unter Leute gehen.«
    »Es geht mir gut, ich brauche niemanden zu sehen.«
    »Der Ansicht bin ich nicht. Es geht dir nicht gut. Nachts hast du noch immer diese Albträume und tagsüber lange Phasen der Ermattung. Sieh dich doch nur an. Wirklich.«
    »Ich frage mich, woher du
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