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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk
Autoren: Heinrich Wefing
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Wanderer zwischen zwei Weltreichen. 1913 in New Haven als Sohn ukrainischer Einwanderer geboren, trat Hanusiak schon in seiner Jugend kommunistischen Organisationen bei, stieg in der KP der USA bis in die höchsten Gremien auf, wurde Mitglied in Kulturgruppen, die den Austausch zwischen Amerika und der Ukraine fördern sollten, reiste wiederholt nach Moskau und in die Ukraine, trat bei Propagandaveranstaltungen auf und wurde zu seinem 75. Geburtstag sogar vom Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der Ukraine mit einem Verdienstorden ausgezeichnet.
    Für Hanusiak war Demjanjuk nur einer unter vielen. Schon 1973 hatte der Journalist die erste Auflage seines Buches «Lest We Forget» (zu Deutsch: «Auf dass wir niemals vergessen mögen») veröffentlicht, eine Anklage gegen ukrainische Nationalisten, die sich im ZweitenWeltkrieg aktiv am nationalsozialistischen Völkermord beteiligt hatten. In vielen erschreckenden Details schilderte Hanusiak, welche Rolle ukrainische Polizisten und Wachleute bei den Grausamkeiten gegen die Juden in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten gespielt hatten. Er zitierte die Aussagen seiner Gesprächspartner, viele davon Überlebende, er präsentierte Akten und Dokumente, auf die er bei seinen Archivstudien gestoßen war. Und er nannte die Namen von mehreren Männern, die an Verbrechen beteiligt gewesen seien, sich nach dem Krieg aber in die Vereinigten Staaten, nach Kanada oder Deutschland abgesetzt hätten.
    Die Intention des Buches war klar: Es sollte an die Verstrickung ukrainischer Helfer in den Holocaust erinnern. Aber Hanusiak verfolgte auch eine politische Absicht, oder jedenfalls wurde sein Werk so gelesen: Ein begeisterter Rezensent von «Lest We Forget» schrieb in seiner Besprechung, das Buch könne zu einer «starken Waffe gegen den ukrainischen Nationalismus» werden, der seinerseits voller Hass die Sowjetunion bekämpfe.
    Dass die ersten Hinweise auf Demjanjuks mögliche NS-Vergangenheit ausgerechnet von Hanusiak kamen, hat Anlass zu vielen Spekulationen gegeben. Der Mann sei ein Werkzeug der Sowjets gewesen, haben Demjanjuks Anhänger immer wieder behauptet, ein Intrigant mit finsteren Absichten. Sein Auftauchen in der Affäre wurde geradezu als Beweis dafür angesehen, dass Demjanjuk einer Verschwörung zum Opfer gefallen sei, die die Exil-Ukrainer in den Vereinigten Staaten insgesamt als Antisemiten und Nazi-Verbündete desavouieren sollte. Tatsächlich stand Hanusiak Moskau nahe. Ob er sich aber wirklich hat instrumentalisieren lassen oder ob er nicht vielmehr sein eigenes Anliegen verfolgte, die Verstrickung ukrainischer Kollaborateure in den NS-Völkermord aufzudecken, ist ungeklärt; vermutlich ließen sich beide Motivstränge, sollte es sie denn gegeben haben, ohnehin kaum entwirren.
    Fest steht lediglich, dass Hanusiak seine Liste mit sicherem Gespür für
timing
lancierte: just im Oktober 1975, auf dem ersten Höhepunkt der inneramerikanischen Auseinandersetzung über den richtigen Umgang mit mutmaßlichen NS-Tätern. Hanusiak schickt sein Material zunächst an zwei einflussreiche Senatoren in Washington: an JacobJavits aus New York und an Abraham Ribicoff aus Connecticut. Javits leitet die Unterlagen an den zuständigen Immigration and Naturalization Service (INS) weiter, die Einwanderungsbehörde des US-Justizministeriums, und setzt damit die Ermittlungen in Gang.
    Im INS wird der Beamte Harold E. Jacobs mit der Untersuchung betraut. Demjanjuks Adresse und Telefonnummer findet er im Telefonbuch von Cleveland. Und noch etwas entdecken seine Kollegen im INS. Als sie in den alten Einwanderungsakten blättern, fällt ihnen auf, dass Demjanjuk 1951 in seinem Visumsantrag erklärt hatte, von 1934 bis 1943 habe er als Bauer in einem kleinen polnischen Ort namens Sobibor gelebt. Ausgerechnet Sobibor. Kann das Zufall sein? Die Beamten sind alarmiert: Die Dokumente in den Akten scheinen Hanusiaks Verdacht zu bestätigen.
    Harold E. Jacobs macht sich auf die Suche nach Zeugen. Er spricht mit Holocaust-Überlebenden in der Region Cleveland, besucht sie in ihren Läden und Büros, fährt zu ihnen nach Hause, legt ihnen Passfotos von Demjanjuk vor. Der Beamte kontaktiert die jüdischen Organisationen in der Gegend, das örtliche Büro von B’nai B’rith, die Anti-Defamation League of Cleveland, die Jewish Community Federation, die lokale Repräsentantin des American Jewish Congress.
    Aber es ist alles vergeblich. Niemand kann sich an einen ukrainischen Wachmann
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