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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3
Autoren: J. D. Salinger
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mir diesen
    Brief geschrieben und mich gebeten, vor Ende des Schuljahres noch einmal bei ihm
    hereinzuschauen, weil ich ja nach den Ferien nicht zurückkommen würde. »Aber es wäre gar nicht
    nötig gewesen. Ich hätte Ihnen ohnedies einen Abschiedsbesuch gemacht.«
»Setz dich dorthin, Junge«, sagte Spencer. Er meinte das Bett.
Ich setzte mich darauf.«Was macht Ihre Grippe, Sir?«
»Wenn es mir um einen Grad besser ginge, müßte ich den Arzt holen lassen«, sagte er. Das
    überwältigte ihn selber. Er fing an wie wahnsinnig zu kichern. Endlich faßte er sich wieder und
    sagte: »Warum bist du nicht beim Fußballmatch? Heute ist doch das große Wettspiel?«
»Ja, das stimmt. Ich war auch dort. Nur bin ich gerade erst mit der Fechtmannschaft von New
    York zurückgekommen«, sagte ich. Sein Bett war hart wie Fels.
Er wurde höllisch ernst. Das hatte ich erwartet. »Du verläßt uns also?« fragte er.
»Ja, Sir, es sieht ganz so aus.«
Er fing mit seinem mechanischen Kopfnicken an. Kein Mensch auf der Welt nickt wohl soviel wie
    der alte Spencer.
Man wußte nie, ob er soviel nickte, weil er über etwas nachdachte, oder einfach nur, weil er
    ein harmloser alter Knabe war, der seinen Hintern nicht mehr von seinem Ellbogen unterscheiden
    konnte.
»Was hat Dr. Thurmer gesagt, Junge? Wie ich höre, habt ihr eine kleine Unterredung
    gehabt.«
»Ja, das kann man wohl sagen. Ich war ungefähr zwei Stunden in seinem Zimmer, glaube
    ich.«
»Was hat er zu dir gesagt?«
»Ach... daß das Leben ein Spiel sei und so. Und daß man sich an die Spielregeln halten müsse.
    Er war sehr nett. Ich meine, er hat kein Donnerwetter losgelassen oder so. Er hat nur darüber
    geredet, daß das Leben ein Spiel sei und so.«
»Das ist tatsächlich so, Junge. Das Leben ist ein Spiel, das bestimmte Regeln hat.«
»Ja, Sir. Ich weiß. Ich weiß das.«
Ein Spiel, verdammt! Feines Spiel. Wenn man auf der Seite spielt, wo die großen Kanonen sind,
    dann ist es ein Spiel - das will ich zugeben. Aber wenn man auf die andere Seite gerät, wo
    keine Kanonen sind, was soll daran noch Spiel sein? Nichts.
Kein Spiel mehr.
»Hat Dr.Thurmer deinen Eltern schon geschrieben?« fragte der alte Spencer.
»Er sagte, er werde ihnen am Montag schreiben.«
»Hast du dich schon mit ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Nein, Sir, ich habe mich nicht mit ihnen in Verbindung gesetzt, weil ich sie ja wahrscheinlich
    am Mittwochabend sehe, wenn ich heimkomme.«
»Und wie werden deine Eltern die Nachricht wohl aufnehmen?«
»Ja, sie werden sich wohl ziemlich ärgern«, sagte ich. »Das ist sicher. Pencey ist ungefähr die
    vierte Schule, auf der ich war.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich schüttele den Kopf ziemlich oft.
»Junge, Junge«, sagte ich; ich sage ziemlich oft Junge, Junge , teils weil ich einen
    schlechten Wortschatz habe, teils weil ich mich für mein Alter ziemlich kindisch benehme.
    Damals war ich sechzehn (jetzt bin ich siebzehn), und manchmal führe ich mich auf, als ob ich
    dreizehn wäre. Das ist um so lächerlicher, als ich 1,89 groß bin und graue Haare habe.
    Tatsächlich. Auf meiner rechten Kopfhälfte sind Millionen von grauen Haaren. Das war von jeher
    so. Und trotzdem benehme ich mich oft, als ob ich erst zwölfjährig wäre. Alle behaupten das,
    besonders mein Vater.
Zum Teil ist es wahr, aber nicht ganz. Die Leute meinen immer, irgend etwas sei ganz wahr. Ich
    mache mir nichts daraus, nur langweilt es mich manchmal, wenn man mir sagt, ich solle mich
    meinem Alter entsprechend benehmen. Manchmal benehme ich mich viel erwachsener als ich bin -
    wirklich -, aber das merken die Leute nie. Sie merken überhaupt nie etwas.
Der alte Spencer fing wieder an zu nicken. Außerdem fing er an in der Nase zu bohren. Er tat
    so, als ob er sie nur kratzte, aber in Wirklichkeit hatte er seinen ganzen Daumen drin.
Wahrscheinlich hielt er das für erlaubt, weil nur ich im Zimmer war. Mir war es gleichgültig,
    nur ist es ziemlich ekelhaft, wenn man jemand beim Nasebohren zusehen muß.
Dann sagte er: »Ich hatte die Ehre, deine Eltern kennenzulernen, als sie zu einer kleinen
    Unterredung mit Dr. Thurmer hier waren - vor ein paar Wochen. Es sind famose Menschen.«
»Ja, das stimmt. Sie sind sehr nett.«
Famos. Dieses Wort ist mir wirklich verhaßt. Dieser Schwindel. Wenn ich das höre, muß ich
    jedesmal kotzen.
Dann machte Spencer plötzlich ein Gesicht, als hätte er mir etwas ganz Besonderes und
    Tiefsinniges mitzuteilen. Er richtete sich in seinem Sessel auf und
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