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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3
Autoren: J. D. Salinger
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bewegte sich hin und her.
    Aber es war blinder Alarm. Er nahm nur die Atlantic Monthly von seinen Knien und versuchte, das
    Heft aufs Bett zu werfen, in meine Nähe. Er traf daneben. Er verfehlte es nur um fünf
    Zentimeter, aber immerhin. Ich stand auf und nahm es und legte es aufs Bett. Plötzlich hatte
    ich nur noch den Wunsch, aus diesem verdammten Zimmer herauszukommen. Ich fühlte, daß eine
    kolossale Predigt bevorstand. Gegen die Sache selbst hätte ich nicht viel gehabt, aber ich war
    nicht in der Stimmung, mich anpredigen zu lassen und dabei Vicks' Nasentropfen zu riechen und
    den alten Spencer in Pyjama und Morgenrock zu betrachten.
Ich hatte wahrhaftig keine Lust dazu.
Da ging es schon los. »Was ist nur mit dir los, Junge?« sagte er. Er sagte es sogar in einem
    für seine Verhältnisse ziemlich strengen Ton. »Wie viele Fächer hast du in diesem Quartal
    belegt?«
»Fünf, Sir.«
»Fünf. Und in wie vielen bist du ungenügend?«
»In vier.« Ich verschob meinen Hintern ein bißchen. Es war das härteste Bett, auf dem ich je
    gesessen habe. »Im Englischen ging es gut«, sagte ich, »weil ich das ganze Beowulf- und Lord
    Randal, mein Sohn-Zeug schon in der Whooton-Schule gehabt hatte. Ich meine, im Englischen
    brauchte ich fast nichts zu arbeiten, nur manchmal Aufsätze zu schreiben.«
Er hörte mir nicht einmal zu. Er hörte fast nie zu, wenn man etwas sagte.
»Ich habe dich in Geschichte durchfallen lassen, weil du absolut nichts wußtest.«
»Das weiß ich, Sir. Junge, das weiß ich. Sie mußten mich durchfallen lassen.«
»Absolut nichts wußtest du«, wiederholte er. Das ist auch so etwas, was mich rasend macht: wenn
    die Leute irgend etwas zweimal sagen, nachdem man schon beim erstenmal verstanden hat.
Dann sagte er es sogar zum drittenmal. »Wirklich absolut nichts. Ich bezweifle sehr, ob du dein
    Geschichtsbuch im ganzen Quartal nur ein einziges Mal aufgeschlagen hast. Wie steht es damit?
    Sag die Wahrheit, Junge!«
»Doch, ich habe ein paarmal hinein gesehen«, antwortete ich.
Ich wollte ihn nicht kränken. Er war auf Geschichte ganz verrückt.
»Ein paarmal hinein gesehen, so?« sagte er höchst sarkastisch. »Deine - eh - deine
    Examensarbeit liegt dort auf der Kommode. Zuoberst auf den andern. Bring sie mir doch bitte mal
    her.«
Das war niederträchtig, aber ich ging hin und gab sie ihm - es blieb mir ja keine andere Wahl.
    Dann setzte ich mich wieder auf sein Betonbett. Junge, tat es mir leid, daß ich zu diesem
    Abschiedsbesuch angetreten war.
Er nahm mein Blatt in die Finger, als ob es Dreck oder ich weiß nicht was wäre. »Wir haben die
    Ägypter vom 4. November bis zum 2. Dezember durchgenommen«, sagte er. »Du selbst hast dir
    dieses Thema als Examensarbeit gewählt. Möchtest du hören, was du darüber zu sagen
    hattest?«
»Nein, Sir, nicht unbedingt«, sagte ich.
Er las es trotzdem vor. Man kann einen Lehrer nicht davon abbringen, wenn er irgend etwas
    vorhat.
Er tut es einfach doch.
»Die Ägypter waren ein alter kaukasischer Volksstamm, der eines der nördlichsten Gebiete
    Afrikas bewohnte. Dieses Land ist bekanntlich der größte Kontinent in der östlichen
    Hemisphäre. «
Ich mußte dabeisitzen und mir diesen Mist anhören. Das war wirklich niederträchtig.
»Die Ägypter sind heute aus verschiedenen Gründen von besonderem Interesse für uns. Die
    moderne Wissenschaft forscht immer noch danach, woraus die geheimen Mittel bestanden, welche
    die Ägypter verwendeten, wenn sie die Toten so herrichteten, daß ihre Gesichter während
    unzähliger Jahrhunderte nicht verwesten. Dieses interessante Rätsel bedeutet noch immer ein
    Problem für die moderne Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert. «
Er unterbrach sich und legte mein Blatt auf seine Knie. Ich fing an, ihn beinah zu hassen.
    »Dein Aufsatz, wenn man ihn so nennen will, ist hier zu Ende«, sagte er wieder in sehr
    sarkastischem Ton.
Man hätte gar nicht vermutet, daß ein so alter Knabe so sarkastisch sein könnte. »Immerhin hast
    du unten an der Seite eine kleine Mitteilung für mich angefügt«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte ich. Ich sagte das sehr hastig, weil ich ihn daran hindern wollte, auch das
    noch vorzulesen. Aber er war nicht aufzuhalten. Er war jetzt in Fahrt wie eine Rakete.
»Lieber Mr. Spencer« , las er. »Das ist alles, was ich über die Ägypter weiß. Ich kann
    offenbar kein richtiges Interesse für sie aufbringen, obwohl Ihr Unterricht sehr interessant
    ist. Ich finde es ganz in Ordnung, wenn Sie
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