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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3
Autoren: J. D. Salinger
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sozusagen Tb und mußte mich hierher begeben, für alle diese verdammten Untersuchungen und
    so weiter. Aber eigentlich bin ich sehr gesund.
Sobald ich wieder bei Atem war, rannte ich über die Straße.
Sie war ganz vereist, und ich wäre beinah hingefallen. Ich weiß nicht, warum ich so rannte -
    wahrscheinlich einfach, weil es mir Vergnügen machte. Als die Straße hinter mir lag, hatte ich
    ein Gefühl, als ob ich unsichtbar würde.
Es war so ein verrückter Nachmittag, furchtbar kalt, keine Sonne, und jedesmal wenn man eine
    Straße kreuzte, hatte man ein Gefühl, als ob man verschwände.
Ich läutete wie besessen, sobald ich vor Spencers Haus stand.
Ich war halb erfroren. Die Ohren taten mir weh, und ich konnte die Finger kaum mehr bewegen.
    »Los, los«, sagte ich fast laut, »jemand soll aufmachen.« Endlich erschien die alte Mrs.
    Spencer. Sie hatten kein Dienstmädchen oder so und machten die Tür immer selber auf. Sie waren
    ziemlich knapp bei Kasse.
»Holden!« sagte Mrs. Spencer. »Wie nett! Komm doch herein, mein Lieber! Bist du denn nicht ganz
    erfroren?«
Scheinbar freute sie sich über meinen Anblick. Ich war ihr sympathisch. Wenigstens hatte ich
    diesen Eindruck.
Junge, noch nie war ich so schnell in einem Haus drin! »Wie geht es Ihnen, Mrs. Spencer?«
    fragte ich. »Wie geht es Mr. Spencer?«
»Gib mir deinen Mantel, mein Lieber«, sagte sie. Sie hatte nicht gehört, daß ich mich nach Mr.
    Spencer erkundigte. Sie war fast taub.
Sie hängte meinen Mantel in dem Schrank im Vorraum auf, und ich strich mir mit der Hand die
    Haare zurück. Meistens habe ich kurzgeschnittene Haare und brauche sie nicht oft zu
    kämmen.
»Wie geht es Ihnen, Mrs. Spencer?« wiederholte ich, nur diesmal lauter, damit sie mich
    verstand.
»Mir geht es sehr gut, Holden.« Sie machte die Schranktür zu.
»Wie geht es denn dir?« An ihrem Ton hörte ich sofort, daß der alte Spencer ihr von meinem
    Rausschmiß erzählt hatte.
»Glänzend«, sagte ich. »Wie geht es Mr. Spencer? Hat er seine Grippe schon hinter sich?«
»Hinter sich! Holden, er benimmt sich wie ein - ich weiß nicht was... Er ist in seinem Zimmer,
    mein Lieber. Geh nur hinein.«

2. Kapitel
    Sie hatten jeder ein Zimmer für sich und so. Beide waren um Siebzig oder sogar älter. Aber sie
    genossen ihr Leben - wenn auch natürlich auf eine etwas verrückte Art. Das klingt gemein, ich
    weiß, aber ich meine es nicht gemein. Ich will nur sagen, daß ich oft über den alten Spencer
    nachdachte, und wenn man länger über ihn nachdachte, fragte man sich, für was zum Kuckuck er
    eigentlich lebe.
Er ging ganz vorn über gebeugt, und wenn er im Schulzimmer ein Stück Kreide an der Wandtafel
    fallen ließ, mußte immer einer aus der ersten Reihe aufspringen und es für ihn aufheben.
Das finde ich schrecklich. Aber wenn man gerade nur genug und nicht zuviel über ihn nachdachte,
    wurde einem klar, daß er gar nicht so übel dran war. An einem Sonntag zum Beispiel, als ich mit
    ein paar andern bei ihm eingeladen war (es gab heiße Schokolade), zeigte er uns eine alte
    fadenscheinige Navajo-Decke, die er und Mrs. Spencer im Yellowstone Park von irgendeinem
    Indianer gekauft hatten. Offenbar hatte ihm dieser Kauf eine riesige Freude gemacht. Das meine
    ich eben. Da kann einer so alt wie Methusalem sein und am Kauf einer Decke das größte Vergnügen
    haben.
Die Tür zu seinem Zimmer stand offen, aber ich klopfte doch, um höflich zu sein und so. Ich
    konnte ihn sogar sehen. Er saß in einem großen Ledersessel und war in die Decke gewickelt, von
    der ich gerade gesprochen habe. Als ich klopfte, schaute er her.
»Wer ist da?« schrie er. »Caulfield? Nur herein.« Er schrie immer so laut, nur im Klassenzimmer
    nicht. Manchmal ging einem das auf die Nerven.
Kaum war ich drinnen, bereute ich schon meinen Besuch. Er las in einer Zeitschrift, der New
    York Times, und überall standen Pillenschachteln und Medizinflaschen herum, und es roch nach
    Vicks' Nasentropfen. Es war ziemlich deprimierend.
Ich habe ohnedies nicht viel für kranke Leute übrig.
Noch deprimierender war, daß er einen trostlosen alten Morgenrock anhatte, in dem er vermutlich
    auf die Welt gekommen war oder so. Ich sehe alte Knaben überhaupt nicht gern in Pyjamas oder
    Morgenröcken. Immer sieht man ihre knochige Brust oder die Beine. Am Strand oder sonstwo sehen
    die Beine von alten Männern immer so weiß und unbehaart aus.
»Hallo, Sir«, sagte ich. »Ich habe Ihren Brief bekommen. Vielen Dank.« Er hatte
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