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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cay Rademacher
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einem dunklen Anzug, aus dessen viel zu kurzen Jackettärmeln die dünnen Unterarme ragen wie die Holzgliedmaßen einer Marionette.
    »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagt er und schiebt mit verlegener Geste ein in Packpapier eingeschlagenes, schmales Bündel auf den Nachttisch. Schokolade. Ein kleines Vermögen für einen jungen Schupo. Ich muss wirklich mager aussehen, denkt Stave, ist aber seltsam gerührt. Ruge ist der einzige Kollege, der ihn besucht.
    Sie plaudern ein wenig. Je länger das Gespräch dauert, desto selbstsicherer wird Ruge. »Schade, dass Frau Berg nicht mehr da ist«, sagt er irgendwann.
    »Frau MacDonald nun.«
    Ruge wird rot. »Daran muss man sich erst gewöhnen. Das klingt schon anders, als wenn jemand ›Müller‹ oder ›Schmidt‹ heißt.«
    »Sie meinen, irgendwie nicht völkisch genug?«, fragt der Oberinspektor mit sanfter Stimme.
    Das Gesicht des Schupos färbt sich noch etwas dunkler. »Neue Zeiten, neue Namen. Ich finde das nicht schlimm, im Gegenteil. Der Herr Lieutenant ist …«, er sucht nach dem richtigen Wort, »so weltgewandt. Aber einige ältere Kollegen haben so ihre Schwierigkeiten mit einer Veronika.«
    »Mit einer Veronika?«
    »So nennt man doch die Mädchen, die mit den Tommys ausgehen: Veronikas.«
    »Bloß bei den Krimsches? Oder überall in Hamburg?«
    »Überall. Sie wissen ja, wie das ist, Herr Oberinspektor: Plötzlich kommt so ein Name auf, keiner weiß, woher, keiner weiß, von wem das erfunden worden ist. Aber plötzlich kennt das jeder.«
    »Ich erinnere mich. Nach 33 gab es plötzlich auch ein paar lustige neue Bezeichnungen für bestimmte Menschen.«
    »Ich will übrigens zur Kriminalpolizei«, platzt Ruge heraus. »Ich habe mich schon zur Aufnahmeprüfung beworben.«
    Der Oberinspektor blickt ihn lange an. Ob er den jungen Kerl ermutigen soll? »Wer hat dem Mörder vom Baumwall nach der Verhaftung eine Abreibung verpasst?«, fragt er schließlich.
    »Oberinspektor Dönnecke.«
    Das alte Schlachtschiff. Cäsar Dönnecke, der Mann, der schon seit Kaisers Zeiten bei den Krimsches ist. Der Mann, der in der braunen Zeit manche Einsätze zusammen mit den Kollegen von der Gestapo durchgeführt hat. Und der es irgendwie geschafft hat, den »Säuberungen« der Engländer nach Kriegsende zu entgehen, obwohl die Sieger Männer entlassen hatten, die weniger Dreck am Stecken hatten als er.
    »Von dem können Sie lernen, wie man es nicht machen sollte.«
    »Ich werde mich vor ihm hüten. Vielleicht kann ich ja bei Ihnen in der Abteilung anfangen.« Ein schüchternes Lächeln, dann wird Ruge wieder rot. »Ich meine, falls man mich überhaupt nimmt.«
    Und falls ich bis dahin wieder an Bord bin, denkt Stave, nickt aber bloß stumm.
    Später, als sein Besucher gegangen ist, starrt der Oberinspektor zur Decke und denkt nach. Über Erna Berg. Erna MacDonald. Ob sie weiß, wie Kollegen sie nennen? Sicher. Sie wusste immer alles, was bei den Krimsches umging, meist als eine der Ersten. Sie wird es vielleicht noch gehört haben, bevor die Schwangerschaft so weit war, dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Eine Veronika, ein Engländerflittchen, das ihren Mann verließ, der im Osten ein Bein verloren hatte. Erna wird vielleicht doch nicht so unglücklich über die Versetzung ihres neuen Mannes sein.
    Cäsar Dönnecke. Gestapo-Dönnecke. Der Kollege, der Abreibungen verpassen kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
    »Ich gehöre da nicht mehr hin«, sagt Stave halblaut. Das Summen hinter dem Paravent hört schlagartig auf. Der Oberinspektor unterdrückt den Fluch, der ihm auch noch auf den Lippen gelegen hat. Er hat einen Entschluss gefasst: Ich muss die Abteilung wechseln, sagt er sich. Die Mordkommission ist nichts mehr für mich.

Chefamt S
    Freitag, 11.   Juni 1948
    Stave steht neben dem bronzenen Elefanten, den die Krimsches »Anton« getauft haben. Ein Kunstwerk aus der Zeit, als die Kripo-Zentrale noch der Stammsitz einer Versicherung gewesen ist, in der versunkenen Vorkriegswelt der zwanziger Jahre, als sich sogar die fischblütigen Zahlenmenschen eines Konzerns luxuriöse Scherze wie eine drei Meter hohe, tonnenschwere glänzende Tierfigur neben dem Eingangsportal leisten wollten. Es ist erst sieben Uhr morgens. Obwohl es einer der längsten Tage des Jahres ist, badet die Stadt in grauem Licht. Feine Wasserschleier treiben in der Luft, zu dicht für Nebel, zu zart für Regen. Das Wetter ist kalt für einen Frühsommertag.
    Noch im Treppenhaus streift der
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