Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Eunuch

Titel: Der Eunuch
Autoren: Johannes Tralow
Vom Netzwerk:
Prinzen Eugen an Neapel und Sizilien weit weniger gelegen ist als an Ländern, die dem österreichischen Machtzentrum näher liegen und sich mit ihm unmittelbar verschmelzen lassen. - Wir kennen diese Gebiete sehr genau. Es sind dies die Wohnsitze der Rechtgläubigen, über die der Gebetsruf der Muezzin den Ruhm Allahs verkündet, es sind in erster Linie die Königreiche und Länder, die Euer Erhabenheit in Europa besitzen - noch besitzen ...“
    „Unverschämter!“ schrie der Mufti, und auch der Sultan war bleich geworden, doch nur ein Säbelhieb ins Hirn hätte Beschir aufhalten können.
    „... es ist der Balkan, der ganze Balkan“, fuhr er fort, „in den Eugen nur einzutreten braucht. Die Tür steht offen. Belgrad ist die Tür. Mit seinen Siegen bei Peterwardein und Belgrad und mit dem Frieden von Passarowitz hat er sie aufgestoßen.“
    Sultan Ahmed vergaß sich so weit, zu schreien — Schreie auszustoßen wie ein gewöhnlicher Mensch.
    „Ich will keinen Krieg“, schrie er, „ich will nicht!“
    Beschir kannte den Sultan und setzte ihm, wie schon oft, nichts als Gelassenheit entgegen.
    „Es ist gar nicht nötig, den Krieg zu wollen“, sagte er, „der Krieg wird ganz von selbst zu Euer Erhabenheit kommen, und zwar dann, wenn Eugen es an der Zeit findet. Ich halte nur diese eine Politik für die richtige, die das Osmanische Reich auf diesen Tag vorbereitet. Bei der letzten Katastrophe hatten wir noch das Glück, daß es bei den Ungläubigen die vielen unruhigen Köpfe gibt, wie die Elisabeth Farnese von Spanien mit ihrem Kardinal Alberoni, wie Karl von Schweden, den wir von Bender her kennen, wie Peter von Rußland, August den Starken von Sachsen und Polen, seinen Gegner Stanislaus Lesczinsky und die vielen andern, die alle Österreich zwangen, seine Kräfte zusammenzuhalten. Immer können wir nicht darauf zählen, und auf ein Eingreifen zu unsern Gunsten haben wir - worauf untertänigst hinzuweisen ich mir schon erlaubte - nicht zu rechnen. Darum halte ich es unter anderem für falsch, einen berühmten General wie den Grafen Bonneval, durch die Gnade Allahs jetzt Ahmed, dem Osmanischen Reich nicht die Dienste leisten zu lassen, die er zu leisten erbötig ist und zu leisten vermag. Er ist der einzige, den die Ungläubigen dem Prinzen Eugen als Feldherrn an die Seite stellen, und ich erwähne ihn, weil ihn Seine Hoheit der Großwesir erwähnte, und weil dieser Fall zeigt, wie sehr ich seiner Politik abgeneigt sein muß.“
    „Also auch meiner Politik?“ fragte der Sultan.
    Mufti und Großwesir hielten den Atem an. Keiner von beiden zweifelte, daß dies für Beschir das Ende sei. Doch der Kislar sah keinen von beiden, sondern nur Sultan Ahmed, mit dem ihn so viele Jahre seines Lebens verbanden, und was er erblickte, waren Falten des Kummers, sonst so fremd diesem Gesicht eines Genießers. - Dennoch sprach Beschir das Unwiderrufliche aus: „Ja, Padischah“, sagte Beschir, „auch deiner Politik bin ich abgeneigt.“
    Das für Ibrahim und Abdullah so Unerwartete geschah wirklich! Der Padischah äußerte nur, daß der Harem des Kislar Aga bedürfe, und befreite damit seine erlauchte Gegenwart von dem Flecken Beschir.
    Mit auf der Brust gekreuzten Armen hatte sich der Eunuch rückwärts schreitend entfernt.
    Doch Beschir kannte alle Arten einer endgültigen Entfernung. Es kamen noch Türen, und hinter jeder waren Bostandschi, die ihn zu ihrem Baschi führen konnten, dem Befehlshaber aller Garten- und Palastwachen und Vollstrecker kaiserlicher Machtsprüche innerhalb des Serails. Die scharlachfarbenen Kämmerer waren schon etwas freizügiger, walteten deswegen aber nicht weniger gefährlich.
    Alles war dann auch so, wie man es erwarten konnte, und dennoch geschah ... nichts. Die Bostandschi erwiesen ihm die Ehrenbezeigungen wie stets, die Kämmerer und die andern Würdenträger zeigten ihm, der soviel höher stand als sie, ihre dienstwillig gebeugten Rücken. Zwei Eunuchen seiner Begleitung griffen ihm ehrfurchtsvoll unter die Achseln und geleiteten ihn auf die riesige weiße Treppe hinaus, die zum Wasser führte.
    Und dort lag auch schon das goldinkrustierte Boot.
    Vielleicht würde es dort geschehen — im Boot? Die kaiserlichen Lustfahrzeuge gehörten zum Machtbereich des Bostandschibaschi. Bostandschi waren die Ruderer, der Bootsführer einer ihrer Offiziere. Aber der gab nur sein Kommando, die Riemen flogen hoch und stießen mit einem einzigen Krach auf die Planken. Das war tadellos präsentiert.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher