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Der erste Versuch

Der erste Versuch

Titel: Der erste Versuch
Autoren: Alexander Kröger
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Verdienstvollen selber den Wunsch hat,
vorerst aus diesem Leben zu verschwinden – insbesondere
auch aus Sicherheitsgründen oder um einfach auf ein zweites,
besseres zu hoffen
–, dann sollten wir das ermöglichen.
Allerdings muss er sich des Risikos bewusst sein, sich auf eine
Automatik zu verlassen, die über Jahrzehnte nicht nur
technisch funktionstüchtig sein, sondern auch zuverlässig vor
möglicher Fremdeinwirkung geschützt werden muss.“
Es herrschte Schweigen. Björns Argumenten konnten sich die
Zuhörer nicht entziehen.
Da sagte Milan: „Björn hat Recht. Ich stimme seinem
Vorschlag unbedingt zu und erkläre mich sofort einverstanden,
den Vorsitz abzugeben.“
Spontan gaben dem Anna und Richard ihr Einverständnis.
Es entstand eine Verlegenheitspause. Offenbar hatte keiner
der zwölf Vertreter mit einer solchen Entwicklung gerechnet.
„Bliebe – wer übernimmt?“, fragte Jan Marschewsky aus
Warschau.
„Wir treffen uns in zehn Tagen live an gleicher Stelle. Ihr
schlagt vor und entscheidet. Gestattet diese Festlegung als
meine letzte Amtshandlung.“ Milan lächelte. „Und dann,
Björn, lasst mich einer von denen sein, die eine Weile, ich
denke an fünfzig Jahre, aus diesem Leben verschwinden, wie
du dich ausgedrückt hast. So bin ich für die weitere Arbeit der
Vereinigung die geringste Belastung.“
Wieder herrschte Schweigen.
„Du hast es dir wirklich gut überlegt, Milan?“, fragte Nicole.
„Ja – gut!“ Milan sah nicht auf. Er ordnete die wenigen
Gegenstände auf dem Schreibtisch und klappte den Schirm
seines Merkers zu.
2. Kapitel
    Paolo Mannas, Direktor der Agency of International Trade
Management, war ein Mensch, dem man im täglichen
normalen Umgang weder sein Durchsetzungsvermögen noch
die Brutalität, mit der er es begleitete, angemerkt hätte. Mit
seiner fülligen, eher kleinen Figur, seinem runden, meist
rosigen Gesicht und dem schütteren Haarkranz wirkte er eher
sanftmütig, gemütlich, Vertrauen erweckend. Nur die flinken,
kleinen, stets wachen Augen und der zu einem an den Enden
nach unten gebogene, zu einem Strich mutierte Mund ließen
vermuten, dass die Fassade Gefühlskälte und
Erbarmungslosigkeit verbarg.
    An diesem Vormittag war Paolo Mannas jedoch besonders
guter Stimmung. Soeben war ihm die Nachricht überbracht
worden, dass Nummer zweihundertdreiundsiebzig A, ein
Milan Nowatschek, der Emeins, für fünfzig Jahre in den
Dauerschlaf gegangen sei, und zwar freiwillig. Allerhöchste
Zeit; denn gerade jetzt wurden intelligente Leute gebraucht,
also konnte, nein, musste, Emzwei, Milan Nowatschek, sofort
aktiviert werden.
    Paolo Mannas stellte eine Verbindung her und rief Cathleen
Creff. „Komm bitte zu mir, gleich“, beorderte er sie zu sich,
kaum, dass sich ihr Konterfei im Monitor realisiert hatte.
    Der Direktor bediente abermals die Tastatur. „Den Emzwei,
Milan Nowatschek, sofort zu mir!“, befahl er, bekam aber
Augenblicke später die Meldung, dass sich der Gewünschte
auf Stützpunkt acht befinde und frühestens in zirka vier
Stunden in der Zentrale sein könne.
„Okay“, brummte Mannas, „dann eben in vier Stunden.“
    Der Türmonitor kündigte Cathleen Creff an. Mannas ließ sie
eintreten. „Nimm Platz“, sagte er freundlich und wies auf die
Sitzecke unter einer großen Yucca im riesigen Arbeitszimmer,
an dessen Wänden sich in Kineregalen die umfängliche
Datenträgeraktei der Agentur befand.
    Dem Kommunater gegenüber plätscherte ein etwas
verkitschter Wasserfall; ein dicker Teppich mit dem Abbild
eines ruhenden mächtigen Löwen überdeckte weitgehend das
künstlerisch gestaltete Parkett aus Palisanderholz, dessen
Einfuhr seit einem Jahrhundert verboten war.
    Cathleen Creff war eine durchaus hübsche Person mit
moderner, teurer, blau scheinender Aureolenfrisur. Für eine
Idealfigur waren ihre Oberweite ein wenig zu groß und die
Beine ein Jota zu kurz, was jedoch keineswegs das Gesamtbild
einer attraktiven Frau beeinträchtigte. Im Gesicht traten die
Wangenknochen um einen Deut hervor, was eher auf einen
osteuropäischen Typus schließen ließ, und in der Tat stammten
Cathleens Vorfahren aus Böhmen. Ihre rehbraunen Augen
passten ebenso dazu wie ihr rundliches, eine Art
Permanentfröhlichkeit ausstrahlendes Gesicht. Sie trug an
diesem Tag ein ausgeschnittenes hemdartiges weißes
Hängekleid, das bis an die Waden reichte. Als einziger
Schmuck zierte ein Armspangen-Mittelfinger-Kettchen ihre
linke Hand. Als sie zum Sessel ging, wurde sichtbar,
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