Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der erpresste Erpresser

Der erpresste Erpresser

Titel: Der erpresste Erpresser
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
ihre Uhr nicht erkennen.
    Als die Frau aufstehen wollte, bemerkte
sie den Wagen, einen Kombi.
    Er hielt auf der Parkstraße und hatte
sich eine dunkle Stelle unter den überhängenden Ästen einer Rotbuche
ausgesucht.
    Der Fahrer stieg aus — ein großer,
schwerer Mann — , ging nach hinten, öffnete die Heckklappe und half einem
Jungen beim Aussteigen.
    Fehlte dem was? Der Mann nahm ihn beim Arm
und führte ihn rasch in die noch dickere Dunkelheit unter den Bäumen.
    Freilich — vor dem hellen Hintergrund
der Straße konnte Helena alles erkennen: die Bewegungen der beiden, ihre
Umrisse, jetzt das Stolpern des Jungen.
    Sie kamen zum Teich.
    Dann stockte ihr der Atem, denn sie
sah: Dem Jungen waren die Hände gefesselt. Und die Augen verbunden? Jaaa, der
trug eine dunkle Binde.
    Sie näherten sich, hatten den Teich
halb umrundet. Und Helena begriff: Die wollten zur Bank.
    Der Kies knirschte. Aber das wurde übertönt
von den Fröschen. Jetzt kauerte die Frau hinter einem Busch.
    Sie nahten. Ein Jammer, daß es so
dunkel war. Abends hatte sich der Himmel bedeckt. Kein Mond, kein Stern. Helena
konnte die Gesichter nicht erkennen.
    Der Mann setzte den Jungen auf die Bank.
    „Rühr dich nicht von der Stelle,
Markus“, hörte Helena eine gedämpfte Stimme. Sie klang blechern und verzerrt,
als käme sie aus einem Automaten. „Ich verständige deinen Vater. Der holt dich
hier ab.“
    Der Junge grunzte. War er geknebelt?
    Der Mann entfernte sich rasch, und
Helena fand nicht den Mut, ihm zu folgen. Wenigstens das Kfz-Kennzeichen hätte
sie feststellen müssen. Statt dessen blieb sie hinter ihrem Busch, bis der
Wagen abfuhr.
    „Erschrick nicht.“ Sie trat zu dem Jungen.
„Ich war in der Nähe und habe alles beobachtet. Warte, ich will versuchen,
deine Fessel zu lösen.“
    Dann sah sie, daß über seinem Mund ein
Heftpflaster klebte. Sie zog es vorsichtig ab, und Markus konnte den moderigen
Knebel mit der Zunge ausstoßen.
    „Danke!“ keuchte der Junge. „Ich wurde
gekidnappt. Aber jetzt ist es überstanden. Nehmen Sie mir, um alles in der
Welt, die verdammte Augenbinde ab! Ich seh’ ja schon Sterne.“
     
    *
     
    Parkstraße. Endlich!
    Tim hatte sich mächtig beeilt.

    Vielleicht ist sie sauer, dachte er,
wenn ich sie wegen des Fotos störe zu so später Stunde. Aber mir soll’s egal
sein. Wir brauchen das Bild. Wie stehen wir sonst da vor Kommissar Glockner!
    Nur noch ein Stück — doch Tim bremste
abrupt, schwenkte hinter einen parkenden Wagen und äugte nach vorn.
    Kein Zweifel. Dort stand Brochmanns
Mercedes. Eindeutig dessen Kfz-Nummer. Und jetzt kam Markus’ Stiefvater aus dem
Park, eilig, mit allen Anzeichen von Panik.
    Was war los?
    Tim verharrte und beobachtete, wie der
Mann einstieg und abfuhr. Hatte er nach Markus gesucht? Hier? War hier ein
Penner-Treff?
    Eins nach dem andern, dachte Tim, fuhr weiter
und klingelte dann bei Helena Schrader.
    Sofort meldete sie sich — zu seiner
Verblüffung.
    Tim sagte, weshalb er komme, und die
Frau drückte auf den Summer.
    Im vierten Stock stand sie an der Tür
und hielt das Foto in der Hand. Das war kein Thema für sie, wohl aber was
anderes.
    „Den heutigen Tag, Tim, werde ich so
schnell nicht vergessen. Jetzt weiß ich nicht: Soll ich die Polizei anrufen
oder mische ich mich lieber nicht ein?“
    Staunend hörte er, was sie erlebt
hatte.
    „...und kaum hatte ich diesen Markus
befreit...“
    „Was?“ fiel er ihr ins Wort. „Markus?
Heißt er Markus? Aber ja! Deshalb also war Brochmann eben hier. Ich kapiere.
Ja, bitte, erzählen Sie weiter!“
    „Du kennst ihn? Nun, kaum hatte ich ihn
befreit, ist er weggelaufen. Bedankt hat er sich. Aber das war auch alles. So
schnell er konnte, ist er losgerannt. Obwohl doch der Kidnapper wortwörtlich
gesagt hat: Ich verständige deinen Vater. Der holt dich hier ab.“
    „Danke, Frau Schrader!“ Tim steckte das
Foto in die Hemden-Brusttasche. „Die Polizei brauchen Sie nicht zu
verständigen. Das besorgen wir. Gute Nacht!“
    Er raste die Treppe hinunter, verließ
das Haus und sprang auf sein Rennrad. Zum Kantaten-Weg!
    Irre! Stiefvater Brochmann hatte also
wieder gelogen. Erst die Behauptung, Markus wäre krank. Dann das Märchen, er
hätte sich abgesetzt zu den Pennern und wolle Bedenkzeit. Alles Lügen! Entführt
hatte man ihn. Und Brochmann verhielt sich, als stünde er auf seiten der
Kidnapper. Mann o Mann! Mit Kommissar Glockner konnte man doch weiß Gott reden.
Gabys Vater hätte nichts unternommen, was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher