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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
Autoren: Ursula K. LeGuin
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kletterten eine enge Schlucht hinauf, die mit Steingeröll angefüllt war. Der Trockene Fluß wurde schmaler, je näher sie seinem Ursprung kamen, und die Ufer zu beiden Seiten wurden steiler. Felsgestein bröckelte unter ihren Füßen und Händen, denn sie mußten oft auf allen vieren kriechen. Arren spürte, wie das Flußbett sich zu einer letzten Enge verschmälerte, er machte einen Satz, packte Cob beim Arm und hielt ihn fest. Sie waren an einem Becken angelangt, das ein bis zwei Meter breit war und wohl Wasser hätte halten können, wenn es Wasser gegeben hätte. Hinter dem Becken ragte eine steile, rauhe Wand aus Fels und Schiefer empor. Und in der Wand gähnte eine schwarze Öffnung, der Ursprung des Trockenen Flusses.
    Cob versuchte nicht, sich seinem Griff zu entwinden. Er stand, ohne sich zu bewegen, während das Licht von Geds Stab immer heller auf sein Gesicht mit den leeren Augenhöhlen fiel. Er hielt es Arren zugewandt: »Hier ist der Ort, den du suchst. Siehst du ihn? Hier kannst du wiedergeboren werden. Du mußt mir nur folgen. Du wirst ewig leben. Und wir können beide zusammen Könige sein.«
    Arren schaute auf die schwarze, unheimliche Öffnung, auf den Ursprung des Trockenen Flusses, auf dieses Maul aus Staub, in das die tote Seele hineinkriecht und wieder herauskommt, doch nicht um zu leben, sondern um ein Schattendasein zu führen: abscheulich schien es ihm und seine Stimme klang erstickt, er würgte, denn Übelkeit hatte ihn überfallen: »Es soll geschlossen werden!«
    »Es wird geschlossen«, sagte Ged, der zu ihm getreten war. Und von seinen Händen und von seinem Gesicht ging ein Licht aus, als ob ein Stern in dieser endlosen Nacht auf die Erde gefallen wäre. Vor ihm wölbte sich das Höhlentor der ausgetrockneten Quelle, und dahinter war es hohl, wie weit und tief es ging, war nicht zu sehen. Nichts befand sich dahinter, worauf ein Licht hätte fallen können. Es war eine absolute Leere. Licht und Dunkel, Leben und Tod gab es dort nicht. Es war zwar ein Weg, doch er führte in ein Nichts.
    Ged hob die Hände hoch und begann zu sprechen.
    Arren hielt immer noch Cobs Arm fest. Der Blinde hatte seine freie Hand auf das Felsgestein der Wand gelegt. Beide rührten sich nicht, die Macht der Zauberformel hielt sie in ihrem Bann.
    Die Kunst, um die sich Ged sein ganzes Leben lang bemüht hatte, die Kraft seines jähen, starken Herzens, jetzt halfen sie ihm in seinem Ringen mit dem Tor, in seinem Bemühen, es zu schließen und die Welt zu heilen. Und dem Befehl seiner Stimme und dem Wirken seiner Hände gehorchend schoben sich die Felsen mühsam, schmerzlich zusammen, versuchten knirschend, wieder eins zu werden. Doch zur gleichen Zeit wurde das Licht, das von seinen Händen und von seinem Gesicht ausging, immer schwächer, es starb ab, und sein Stab aus Erlenholz begann zu erlöschen, bis nur noch ein ganz geringes Lichtlein verblieb, doch in diesem schwachen Licht sah Arren, daß die Tür fast geschlossen war.
    Auch der Augenlose fühlte, wie die Felsen sich bewegten, fühlte, wie sie sich berührten: doch er fühlte gleichzeitig, wie Kunst und Macht geopfert wurden, wie sie gegeben wurden und erloschen, und er schrie plötzlich auf: »Nein!« und riß sich von Arren los. Er sprang nach vorne und umfing Ged mit blindem, eisernem Griff. Unter seinem Anprall wurde Ged zu Boden gerissen, und der Augenlose umschloß seine Kehle, um ihn zu erwürgen.
    Arren riß Serriadhs Schwert in die Höhe, die Klinge zerschnitt pfeifend die Luft und traf den gebeugten Nacken unter dem verfilzten Haar.
    Der Geist eines Lebenden hat Gewicht im Lande der Toten, und der Schatten seines Schwertes hatte eine scharfe Klinge. Das Schwert schlug tief und durchschnitt Cobs Genick. Im Licht des Schwertes spritzte schwarzes Blut in die Höhe.
    Doch es hat wenig Zweck, einen Toten töten zu wollen, und Cob war ein Toter, schon seit vielen Jahren. Die Wunde schloß sich, ihr eigenes Blut aufsaugend. Der Blinde erhob sich zu seiner vollen Größe und tastete mit langen Armen nach Arren, sein Gesicht war von Wut und Haß verzerrt; es schien, als hätte er jetzt erst gemerkt, wer sein wahrer Rivale und Feind war.
    So schrecklich war der Anblick dieses Mannes mit den leeren Augenhöhlen, der sich von seiner tödlichen Wunde erholte, der unfähig war zu sterben, viel schrecklicher, als es der Anblick jedes Sterbens sein konnte, daß Arren von einem unsäglichen Haß ergriffen wurde und wie ein Berserker auf Cob losging. Er hieb auf
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