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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
Autoren: Ursula K. LeGuin
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ihn ein, und Cob fiel mit gespaltenem Schädel auf die Erde, sein Gesicht von Blut überströmt, doch Arren hieb schon wieder auf ihn ein, bevor sich die Wunde schließen konnte, denn er wollte ihn erschlagen, bis er endgültig tot war …
    Ged, der sich neben ihm mühsam auf seinen Knien aufgerichtet hatte, sprach nur ein einziges Wort.
    Beim Klang seiner Stimme hielt Arren inne, als hätte jemand seinen Schwertarm gepackt. Auch der Blinde, der wieder dabei war, sich zu erheben, war erstarrt, Ged versuchte mühsam, auf die Füße zu kommen, bis er schwankend stand. Als er sich ganz aufgerichtet hatte, wandte er sich der Felswand zu.
    »Damit seist du geschlossen!« sprach er mit klarer Stimme und schrieb mit seinem Stab in feurigen Linien eine Figur auf das Felsentor: die Rune Agnen, die Rune des Endens, die Straßen schließt und in Sargdeckel geritzt wird. Zwischen den Felsen gab es keine Leere, keine Kluft mehr. Die Tür war geschlossen.
    Der Boden des Trockenen Landes zu ihren Füßen erbebte, über den unbeweglichen, leblosen Himmel rollte der Donner und verhallte.
    »Beim Wort, das am Ende aller Zeiten gesprochen werden wird, habe ich dir geboten, zu erscheinen, beim Wort, das am Beginn der Schöpfung gesprochen worden ist, löse ich deine Bande: Geh und sei frei!« Und er beugte sich zu dem Augenlosen, der auf Knien vor ihm kauerte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr unter dem weißen verfilzten Haar.
    Cob erhob sich. Er blickte sehenden Auges um sich, langsam und erstaunt. Er schaute Arren an, dann Ged. Er redete kein Wort, sondern blickte sie nur aus dunklen Augen an. In seinem Gesicht lag weder Wut noch Haß noch Schmerz. Langsam wandte er sich von ihnen ab, ging das Flußbett des Trockenen Flusses entlang und war bald verschwunden.
    Doch das Licht in Geds Gesicht und an seinem Stab war erloschen. Er stand im Dunkeln. Als Arren zu ihm trat, hielt er sich am Arm des jungen Mannes fest. Ein trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper. »Es ist vollbracht«, sagte er, »es ist vollbracht.«
    »Es ist vollbracht, mein Gebieter, mein geliebter Herr. Wir müssen gehen.«
    »Ja. Wir müssen heimgehen.«
    Ged war erschöpft. Er folgte Arren das Flußbett hinunter, stolperte und kam nur mühsam zwischen Felsbrocken und Geröll vorwärts. Arren hielt sich dicht bei ihm. Als die Ufer des Trockenen Flusses weniger steil wurden und der Boden flacher, wandte sich Arren dem Weg zu, den sie gekommen waren: dem langen Hang ohne feste Umrisse, der hinauf ins Dunkel führte. Dann wandte er sich um.
    Ged redete nicht. Er war auf einem Brocken erstarrter Lava zusammengesunken, völlig erschöpft, mit gesenktem Haupt.
    Arren wußte, daß sie auf dem Weg, den sie gekommen waren, nicht mehr zurückkehren konnten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, sie mußten weiter vorangehen. Sie mußten den ganzen Weg zurücklegen. Selbst zu weit ist noch nicht weit genug, dachte er. Er blickte auf die schwarzen, stillen Gipfel, die sich gegen die unbeweglichen Sterne abhoben, schrecklich in ihrer Kälte und drohend. Doch wieder vernahm er die spöttische, ironische Stimme in seinem Innern, die ihn herausforderte: »Willst du auf halbem Weg umkehren, Lebannen?«
    Er ging zu Ged und sagte: »Wir müssen weitergehen, mein Gebieter.«
    Ged erwiderte nichts, aber er stand auf.
    »Ich glaube, wir müssen über die Berge gehen.«
    »Es ist dein Weg, mein Junge«, Geds Stimme war heiser, flüsternd. »Hilf mir!«
    Und so begannen sie ihren Weg in die Berge, die Hänge aus Staub und Schlacken hinauf. Arren half seinem Gefährten so gut er es vermochte. Es war stockfinster in den Schluchten und Klüften, und er mußte den Weg ertasten. Es war schwierig, gleichzeitig Ged zu stützen. Das Gehen war mühsam, es war ein fortwährendes Stolpern, doch als die Hänge steiler wurden und sie klettern mußten, wurde es noch viel schlimmer. Die Felsen waren rauh, und ihre Hände brannten, als faßten sie geschmolzenes Eisen an. Doch gleichzeitig war es kalt und wurde immer kälter, je höher sie stiegen. Es war eine Qual, diese Erde zu berühren, sie brannte wie feurige Kohlen; im Berg drinnen loderte ein Feuer. Doch die Luft, die sie umgab, war eiskalt und dunkel. Kein Laut war zu vernehmen. Kein Wind rührte sich. Die scharfen Steine zerbröckelten unter ihren Händen. Ihre Füße sanken ein. Schwarz und steil erhoben sich die Felsrücken und Felszacken vor ihnen und fielen seitlich jäh ins Dunkel ab. Hinter und unter ihnen versank das Reich der Toten.
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