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Der Erdrutsch (German Edition)

Der Erdrutsch (German Edition)

Titel: Der Erdrutsch (German Edition)
Autoren: Stephan Martin Meyer
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sprach ruhig. „Sie zerstört eine ganze Familie, weil sie ihr
Kind verloren hat. Die ist doch wahnsinnig. Da kann ich Oskars Wut
gut verstehen.“
    „ Das
ist kein Grund, sie umzubringen.“ Johan ereiferte sich nun. „Das
ist Selbstjustiz. Die ist aus gutem Grund verboten.“
    „ Wir
haben immer noch keinen Beweis, dass er sie getötet hat“, beharrte
Luise.
    „ Luise,
wir haben alle den Knall vor dem Erdrutsch gehört. Das kann kein
Zufall sein.“ Johan versuchte weiterhin, sie zu überzeugen.
    „ Sie
hat sein Leben, seine Familie und seine Zukunft einfach
weggeschmissen.“ Luise war aufgestanden. „Ich würde genauso
handeln wie er.“
    Sie zog ihre Hose wieder an.
    Nun meldete sich Paul zu Wort: „Also glaubst du doch, dass er es
war?“
    „ Ach,
du spinnst ja. Ich gehe jetzt, mit euch kann man nicht reden.“
    Sie stürmte aus dem Zimmer.
    Paul erreichte Oskar sofort. Sie verabredeten sich für den kommenden
Tag im Eiscafé. Paul blieb eine weitere Nacht in der Wohnung von
Johans Familie.

45. Kapitel
    Oskar wartete schon auf sie. Er saß an einem Tisch in der Ecke,
hatte einen Kaffee vor sich stehen und blätterte in einer
Zeitschrift.
    „ Das,
was du gestern erzählt hast, das ist nicht die ganze Wahrheit,
oder?“ fragte Johan. Sie setzten sich zu ihm.
    „ Was
ist denn dann die ganze Wahrheit?“
    „ Das
will ich von dir wissen“, antwortete Johan. „Ich weiß von der
Entführung. Ich vermute also, dass Elsbeth König dich damals
entführt hat. Stimmt das?“ Oskar schwieg. „Und ich weiß von dem
Geld, das du von Elsbeth bekommen hast.“ Oskar zog die linke
Augenbraue nach oben.
    „ Du
bist also ein ganz schlaues Kerlchen.“ Er lächelte überlegen.
„Was weißt du noch?“
    „ Ich
weiß, dass deine Familie kaputt ist. Dass du deshalb eine riesige
Wut in dir trägst. Ich weiß, dass du nicht an das Geld heran
kommst, das dir Elsbeth überschrieben hat. Und ich glaube, dass du
eigentlich kein schlechter Mensch bist.“
    „ Das
ist eine ganze Menge, was du über mich weißt.“
    Die Getränke und das Eis wurden gebracht.
    „ Darüber
hinaus weiß ich, dass ich den Bericht von Elsbeth veröffentlichen
lassen möchte. Das hat sie verdient. Jetzt, wo sie tot ist. Es sei
denn, du kannst mich davon überzeugen, dass sie es eben nicht
verdient hat.“ Johan lehnte sich zurück. „Ich bin gespannt, wie
du versuchen wirst, mich davon zu überzeugen. Wieder mit Gewalt?“
    „ Du
glaubst also, dass ich nur mit Gewalt argumentieren kann?“, fragte
Oskar erstaunt. Er schüttelte sachte seinen Kopf. „Nein, Johan,
das ist eigentlich nicht meine Form der Auseinandersetzung. Da hast
du mich von einer falschen Seite kennen gelernt.“
    „ Das
ist die Art der Argumentation, die ich von dir kenne“, warf dieser
ein. „Verbunden mit Halbwahrheiten oder Lügen.“
    „ Nun
gut, dann wollen wir doch mal sehen, ob ich dich überraschen kann.“
Er beugte sich wieder vor und begann zu erzählen:
    „ Ich
kann mich nur sehr dunkel an die Zeit erinnern, als ich ganz klein
war. Wir waren eine ganz normale Familie – nein, ich muss mich
korrigieren – eigentlich waren wir etwas besonderes. Meine Eltern
haben meinen Bruder und mich über alles geliebt. Beide haben
wahnsinnig viel gearbeitet, um uns einen Lebensstandard zu bieten,
der weit über dem Durchschnitt lag. Dennoch sind wir jedes
Wochenende unterwegs gewesen. So erzählt es meine Mutter heute in
wachen Momenten.
    Das alles ist eines Tages vorbei gewesen, als ich vier Jahre alt war.
Ich war mit meiner Mutter einkaufen, bin alleine in einen Aufzug
gestiegen, weil ich das spannend fand. Da habe ich dann wohl diese
Frau getroffen. Wundert es euch, dass ich heute immer noch nicht
Fahrstuhl fahren kann, ohne Beklemmungen zu bekommen? An die Zeit,
die dann folgte, habe ich keine Erinnerungen mehr. Die Zeit, in der
ich bei dieser Frau war, habe ich aus meinem Hirn verdrängt. Ich
kann nur vermuten, dass es schlimm für mich war, sonst würde ich
mich doch daran erinnern, oder was meint ihr?“
    Paul blickte ihn gespannt an, zuckte ratlos mit den Schultern, Johan
wartete einfach, was als nächstes geschah.
    „ Irgendwann
bin ich mal zu dem Hof rausgefahren. Ich bin auf dem Grundstück
herumgelaufen, auf dem ich angeblich vier Jahre lang gelebt habe. Die
Frau, die du so liebevoll Elsbeth nennst, hat mich dort gefangen
gehalten. Sie war nicht schlecht zu mir, nein, keinesfalls. Sie hat
alles für mich getan. Sie hat mich sogar unterrichtet,
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