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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch
Autoren: Rainer Funk
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Partnerschaft mit den erwachsenen Bezugspersonen zu treten, führt darüber hinaus zu einer Behinderung, wenn nicht gar Vereitelung des psychischen Erwachsenwerdens. Jedes heranwachsende Kind muss sich mit folgendem, typisch kindlichem Zustand abfinden: Auf der einen Seite erhält es den Schutz und die Zuwendung bedingungsloser Liebe auch, wo es überfordert wäre, eine Situation aus eigenen Kräften meistern zu können; auf der anderen Seite hat es sich an der bedingten väterlichen Liebe zu orientieren und muss seine Anerkennung und sein Selbstwerterleben aus der Praxis seiner Eigenkräfte erwerben und die Anforderungen an sein Leben mit seinem eigenen menschlichen Vermögen meistern.
    Dieser besonderen Situation des heranwachsenden Kindes versuchen alle uns bekannten Kulturen gerecht zu werden, indem sie eine deutliche Generationengrenze markieren, die nicht beseitigt werden darf. Das Ende der Kindheit steht zeitlich im Allgemeinen mit der menschlichen Geschlechtsreife in Verbindung. Es wird aber auch etwa durch die Rechtsfähigkeit markiert: Erst ab 14 Jahren kann man in Deutschland bestraft werden; die volle Rechts- und Straffähigkeit erhält man gar erst mit 18 Jahren. Viele Kulturen geben der Generationengrenze zwischen Erwachsensein und Kindsein eine tabuhafte Qualität, die unter keinen Umständen verletzt werden darf. Wie schützenswert dieser Unterschied und diese Grenze ist, zeigt sich etwa auch an den Initiationsriten in vielen Kulturen, die die Grenzüberschreitung vom Kindesalter ins Erwachsenenalter mit Mutproben und äußerst schmerzhaften Ritualen und in Gegenwart der gesamten Lebensgemeinschaft begleiten.
    Ein Kind hat ein Recht auf sein Kindsein. Dieses Recht ist unveräußerlich und darf nicht zur Disposition gestellt werden. Wenn Kinder eingeladen werden, in eine simulierte Partnerschaft mit erwachsenen Bezugspersonen zu treten, um mit ihnen eine Beziehung bedingungsloser Liebe zu leben, dann werden sie - so paradox dies
klingt - regelmäßig überfordert. Was auf der sexuellen Beziehungsebene unmittelbar einleuchtet, weshalb pädophile Handlungen mit der ganzen Strenge des Gesetzes geahndet werden, dafür haben entgrenzte Menschen ansonsten immer weniger Gespür.
    Die Einladung zur Partnerschaft verspricht dem Kind eine simulierte Beziehung grenzenloser Liebe und dient der Vermeidung von Problemen und Frustrationen, die entstehen würden, wenn dem Kind die Rechte und Möglichkeiten Erwachsener vorenthalten würden. Eltern-Kind-Partnerschaften werden jedoch auch ziemlich regelmäßig missbraucht, sobald es in der Partnerschaftskonstruktion kriselt. Kinder dienen dann dazu, die Rolle des problematisch gewordenen Partners zu übernehmen bzw. bei den Konflikten der Eltern Schiedsrichteraufgaben wahrzunehmen oder den unterlegenen Elternteil zu trösten. Sie werden zu Geheimnisträgern und Vertrauten oder fallen - ohne Netz - aus ihrer Überhöhung plötzlich ins Nichts. Zu Opfern werden Kinder ziemlich regelmäßig, wenn Familien zerbrechen; die Loyalitätskonflikte und der »Absturz« der Kinder sind aber ungleich größer, wenn sie als Partner behandelt und nicht in ihrem Kindsein respektiert werden.
    Schließlich führt das Ausblenden der bedingten väterlichen Liebe durch eine Auflösung der Generationengrenze zu oft massiven Schwierigkeiten des Kindes, psychisch in die Pubertät einzutreten und die Grenzüberschreitung zum Erwachsensein zu bewältigen. Nicht selten entwickeln sich schwere psychische und psychosomatische Abhängigkeits-Erkrankungen wie etwa Bulimie, Fresssucht oder Magersucht und kommt es zu Alhohol- und Drogenabhängigkeit oder zu spielsüchtigem Verhalten und zu Spielsucht. Solche Erkrankungen können auch vorübergehend sein, zeigen aber das ganze Ausmaß der Not, von einem Leben, das auf grenzenloser Zuwendung beharrt, Abschied nehmen und sich mit den Anforderungen eines begrenzten Lebens und schließlich selbst verantworteten Lebens anfreunden zu können.
    Spielsüchtiges Verhalten kann dabei durchaus auch eine provokative Funktion haben und dazu dienen, die pampernden und
partnerschaftlichen Eltern zu enttäuschen, sie auf Distanz zu bringen, um sich selbst von ihnen abgrenzen und sich von ihrer bedingungslosen Liebe befreien zu können. So bekannte eine sehr begabte Studentin einer Geisteswissenschaft mir einmal in der Psychotherapie, dass es für sie derzeit nur eine einzige Möglichkeit gäbe, von ihren Eltern nicht mit Wohlgefallen und Interessiertheit durchs Leben
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