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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher
Autoren: Stefan Brijs
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alles glaubte niemand. Die Leichname waren schließlich verkohlt, woher sollte man da so etwas wissen? Und vielleicht hatte der Frau ja auch jemand geholfen. Dem sollte man lieber mal nachgehen, fanden die Einwohner.
    Noch ein wenig später erfuhren sie, dass der Hammer, der bei dem Kreuz gefunden worden war, die Fingerabdrücke des Doktors aufgewiesen hatte. Aber auch das tat man als List des Täters ab, der den Hammer sicher schnell noch dem Doktor in die Hand gedrückt hatte.
    Ein einziges Mal gab es im »Terminus« dennoch eine Diskussion darüber, ob der Doktor sich selbst ans Kreuz genagelt haben könnte. Aber die war schnell wieder zu Ende, weil sich niemand vorstellen konnte, wie das praktisch hätte gehen sollen.
    »Da bräuchte man ja drei Arme«, entschied René Moresnet.
    Es war also unmöglich. Darüber waren sich alle einig. Bis auf einen. Aber der hielt sich bei der ganzen Diskussion zurück. Florent Keuning schwieg und würde weiter schweigen. Aus Respekt vor dem Doktor, vor allem aber, weil er sich mitschuldig fühlte. Denn er hätte es wissen können. Aber damals hatte er sich darüber keine Gedanken gemacht. Er hatte sogar gegrinst. Und das fraß nun an ihm.
     
    Manchmal ist das, was unmöglich erscheint, lediglich schwierig.
    Victor Hoppe hatte darüber nachgedacht. Dass er sich opfern würde, hatte festgestanden. Dass er am Kreuz sterben musste, auch. Das Böse war zwar bekämpft worden, aber was das Böse angerichtet hatte, musste noch gesühnt werden. Alle Sünden mussten getilgt werden. Darum musste er sein eigenes Leben nehmen, wodurch er zugleich sein Leben hingab. Das tat er für die Menschen. Danach musste er noch vom Tode auferstehen. Auch dafür hatte er gesorgt. Es würde zwar nicht schon in drei Tagen so weit sein, aber es würde auf jeden Fall geschehen. Dessen war er gewiss.
    Aber wie sollte der Kreuzestod vonstatten gehen? Er hatte darüber nachgedacht, und plötzlich hatte er es gewusst. Und er war zu Florent Keuning gegangen.
    »Einen Hammer und drei Nägel«, hatte er zu dem Handwerker gesagt, »ich brauche einen zünftigen Hammer und drei große Nägel.«
    »Haben Sie etwas Schweres aufzuhängen?«, hatte Florent gefragt. »Dann kann ich Ihnen auch gern helfen.«
    »Ich kann es allein.«
    Er hatte sich das Gewünschte geben lassen, sich bedankt und dem Mann für alle Fälle gesagt, dass seine Sünden ihm bald vergeben würden.
    Er wusste, dass das ganze Dorf an jenem Nachmittag zum Kalvarienberg gehen würde. Das hatte er als ein Zeichen gesehen. Sie kamen, um ihn zu sehen, also musste er sich beeilen. Aber erst war noch Rex Cremer aufgetaucht. Der hatte ihn verraten wollen. Auch das war ein Zeichen gewesen. Er, Victor Hoppe, tat das Gute. Das hatte er daraus geschlossen.
    Sobald Cremer wieder fort war, war auch Victor aufgebrochen. Eine Dreiviertelstunde brauchte er, um zu Fuß den Kalvarienberg zu erreichen. Der Hammer in seiner Hand war schwer. Ein paar Mal ließ er sich auch erschöpft zu Boden fallen, stand aber stets wieder auf.
    Das Tor zum Kalvarienberg war nicht abgeschlossen. Er schritt den Kreuzweg ab, elf Grotten mit elf Stationen, bis er schließlich bei der zwölften angelangte.
    Jesus war weg! Das fasste er auch wieder als Zeichen auf. Das Kreuz erwartete ihn. Ihn allein.
    Er erklomm den Hügel, genau wie damals als Kind, wie ihm jetzt wieder einfiel. Noch ein Kind, aber schon mit einer Bestimmung. Das wurde ihm jetzt bewusst.
    Genau wie damals kam er von rechts. Aber diesmal gab es keine Zuschauer. Noch nicht. Er kleidete sich bis auf die Unterhose aus. Mit den Fingern öffnete er wieder die Wunde in seiner Seite. Blut lief heraus. Das war gut.
    Dann trat er vor das Kreuz. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte und die Arme ausbreitete, lagen diese genau vor dem Querbalken. Das Kreuz war ihm wie auf den Leib geschneidert. Er nahm den Hammer und die Nägel. Kurz fragte er sich, ob die Nägel wohl das Gewicht seines Körpers halten würden. Aber bei Jesus hatten sie das auch, also brauchte er nicht zu zweifeln.
    Er war linkshändig. Darum hämmerte er zunächst an der Stelle für seine linke Hand einen der Nägel in den Querbalken. Aus der Ferne war bereits die Musik zu hören. Schwermütige Musik.
    Dann bückte er sich und legte die linke Hand flach auf den Boden. Den Hammer nahm er in die Rechte. Er nahm einen zweiten Nagel und schlug ihn sich durch die linke Hand. Es ging wie von selbst. Es tat weh, aber das gehörte dazu. Das musste er erdulden. Als das
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