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Der Engel von Santa Marguerita

Der Engel von Santa Marguerita

Titel: Der Engel von Santa Marguerita
Autoren: Alexander Borell
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sah nichts von Andy. Ich fühlte mich nicht recht wohl, aber es kam nicht vom Magen her. Roy McGowan hatte einmal für diesen Zustand den treffenden Satz geprägt: Man sucht eine schwarze Katze in einem dunklen Zimmer, die gar nicht drin ist.
    Um Viertel nach drei Uhr hielt ich wieder vor der Polizeiwache in San Pedro. Der Leutnant hatte sich gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt.
    „Ich hab’ mich geirrt“, sagte ich, „das mit dem Morphium hat sich inzwischen aufgeklärt. Es wurde nichts gestohlen. Aber die Anklage wegen Mordversuchs bleibt bestehen.“
    „Und bei dem andern?“
    „Beihilfe.“
    Er schaute mich an und zwinkerte heftig mit den Augen.
    „Er hat schon heftig nach seinem Anwalt krakeelt. Ich habe versucht, den Coroner zu erreichen, aber der ist unterwegs, wahrscheinlich draußen beim Angeln. Wenn Sie keine Beweise bringen, Marlon, muß ich ihn spätestens morgen laufen lassen.“
    „Beweise genug“, sagte ich, „aber wenn’s Ihnen lieber ist, können wir ihn auch nach Los Angeles schaffen. Rufen Sie doch mal Maxwell an, vielleicht will der ihn haben?“
    „Gut“, sagte der Leutnant, „werde ich tun.“
    Ich legte ihm Manuels Pistole auf den Tisch.
    „Da habt ihr einen Grund, ihn festzuhalten. Einen Waffenschein hat der bestimmt nicht.“
    „Sehr gut“, sagte der Leutnant, „das ist wenigstens eine handfeste Sache; dafür bleibt er sowieso bei uns.“
    „Und wenn es euch Spaß macht“, fuhr ich fort, „könnt ihr euch mal im Midnight=Club ein wenig um tun. Die beiden dürften dort ziemlich bekannt sein.“
    „Midnight=Club?“ fragte er, „ist das — was gibt’s dort?“
    „Fragen Sie sie selber.“
    Ich ging hinaus und fuhr nun tatsächlich in Richtung Gardena.
    Halb Los Angeles kam die Western Avenue herunter zum Hafen und zum Meer. Ich brauchte fast eine halbe Stunde für die zehn Meilen nach Norman und bis ich das blaue Hillers=House gefunden hatte, in dem Julia Miles wohnte. Ich ging an dem Portier vorbei und fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in den neunten Stock.
    Sie öffnete sofort. Sie war fast so groß wie ich, schlank, aber nicht mager, und sie hatte wunderschönes, gepflegtes Haar, das ihr in einer weichen Welle bis auf die Schultern fiel. Sie trug einen schwarzen Hausmantel; was darunter war, konnte ich nicht sehen. Sie war genau das, was man eine schöne Frau nennt, und ich schätzte sie auf Ende Dreißig.
    „Entschuldigen Sie, Miß Miles, wenn ich Ihren Sonntagnachmittag gestört habe. Ich möchte mit Ihnen über die Familie Dardington plaudern.“
    Sie zog die sorgfältig ausgezupften und dunkel nachgezogenen Augenbrauen hoch.
    „Und Sie glauben, daß ich das mit Ihnen auch möchte?“
    Ich zeigte ihr meinen Ausweis.
    „Es handelt sich um Collins“, sagte ich.
    Sie gab die Tür frei und ließ mich eintreten.
    „Das ist natürlich etwas anderes, Mr. Marlon.“
    „Sie waren doch gestern nicht in Santa Marguerita?“
    „Nein.“
    „Wer hat Ihnen denn über Collins Bescheid gesagt?“
    „Doktor Dardington rief mich an. — Würden Sie hier bitte einen Augenblick warten, bis ich angezogen bin?“
    Sie hatte mich in ein hübsch eingerichtetes Wohnzimmer geführt und verschwand in dem Zimmer nebenan. Ich schaute mich um. Auf einer Vitrine stand ein großes Foto. Ich ging hin und nahm es in die Hand. Es steckte hinter Glas in einem breiten, gehämmerten Silberrahmen. Ein Mann mit einem scharf geschnittenen, faltigen Gesicht schaute mich eindringlich daraus an. Er hatte graue Schläfen und die unglaublich hellen Dardington=Augen. Ich nahm das Foto heraus und drehte es um. In einer kleinen, verschnörkelten Schrift, wie man sie bei eigenwilligen Gelehrten öfter findet, stand quer darüber geschrieben:

    „Omnia vincit Amor“
    Im Juni
    William

    Alles besiegt der Gott der Liebe! — Weiß Gott, das war recht deutlich, und der gute Doktor Dardington schien nicht nur bibelfest zu sein, sondern er beherrschte auch seinen Virgil. Darüber hinaus hatte er offenbar Freude an Zitaten und an einer schönen Frau. Wenn ich an Mrs. Dardington dachte, wäre mir Julia auch lieber gewesen.
    Ich tat das Bild wieder in den Rahmen, setzte mich in einen bezogenen Sessel und zündete mir eine Zigarette an.
    Sie kam herein.
    „Trinken Sie eine Tasse Tee mit mir?“
    „Wenn’s sein muß“, sagte ich, „vermutlich sind Sie auch eine Gegnerin des Alkohols?“
    „Ja. Doktor Dardington...“
    „Der alte oder der junge?“
    Ein ganz feines Rot stieg ihr in die Wangen, kaum merklich,
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