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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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sinkenden Zahl an Drückebergern nimmt auch das Risiko für die Bestrafer ab. Die altruistischen Bestrafer haben die Gruppe stärker und überlebensfähiger gemacht, und das bei sinkendem Risiko für sie persönlich.
    Man stelle sich nun die umgekehrte Situation vor, dass nämlich die Gruppe nur aus Bestrafern besteht. Entsprechende Experimente belegen, was uns schon der gesunde Menschenverstand sagt: dass eine solche Situation geradezu tödlich ist und die Gruppe schwer beeinträchtigt.
    In einer idealen Gruppe gibt es folglich einen bestimmten Prozentsatz an altruistischen Bestrafern. In Gruppen mit »Durchsetzern« entwickelt sich rasch eine Kooperation. Mit anderen Worten, zwei der am meisten geschätzten Eigenschaften des Menschen – Zusammenarbeit und Altruismus – entwickelten sich nur deshalb, weil es Bestrafung gibt.
    Bowles führt zahlreiche psychologische Experimente an, die eine große Bereitschaft des Menschen belegen, Fehlverhalten zu bestrafen, selbst wenn es zu seinen eigenen Lasten geht. In einer sehr bekannten Studie hat man aus Collegestudenten Paare gebildet, A und B. A erhält 100  Dollar mit der Anweisung, dass er B so viel oder so wenig davon abgeben kann, wie er möchte. Akzeptiert B die Aufteilung des Betrages, dürfen beide das Geld behalten. Akzeptiert B die Aufteilung nicht, verlieren beide ihren Anteil.
    Man könnte meinen, dass B jeden Anteil akzeptiert, den A ihm anbietet – schließlich bekommt er ja das Geld geschenkt. Dem ist aber nicht so. Die Hälfte der 100  Dollar nimmt B mit Freuden an, fast immer akzeptiert er auch noch 40  Dollar. Wenn A jedoch B nur, sagen wir, 20  Dollar anbietet, wird B diese Aufteilung fast immer ablehnen. Warum? Weil B den Mitspieler A für die unfaire Aufteilung bestrafen will, auch wenn B dieser Betrag dann entgeht.
    Das Experiment wurde erweitert. Nun teilt A sich das Geld mit B, und C ist beobachtender Zeuge. C hat die Möglichkeit, A zu bestrafen, wenn er die Aufteilung für unfair hält, aber das kostet C Geld. In der Schimpansengesellschaft würde sich C keinen Deut um das Aufteilungsproblem von A und B scheren. In der menschlichen Gesellschaft aber wird C mit Sicherheit A bestrafen, sobald die Aufteilung »unfair« aussieht, und das sogar zum eigenen Nachteil.
    Bowles’ mathematische Simulationen zeigten, dass eine optimale Gesellschaft stets einen signifikanten Prozentsatz an Bestrafern hat. »Die Menschen genießen es, böse Buben zu bestrafen«, sagte er. »Es gibt ziemlich viele Belege dafür, dass die Leute wirklich Spaß daran haben, andere Menschen, die den sozialen Normen zuwiderhandeln, zu rügen, ihnen zu schaden und sie zu bestrafen. Sie
lieben
es geradezu, andere zu bestrafen.«
    Und das sei eine gute Sache, betont er. »Viele Menschen, die freiwillig beim Militär dienen oder in der Strafrechtspflege, tun dies um anderer Menschen willen. Das sind gute Menschen. Werfen Sie mal einen Blick in die Geschichte. Was hat das liberale Europa hervorgebracht? Eine spezialisierte Gruppe von Leuten mit Uniform und Abzeichen und der Aufgabe, die sozialen Normen durchzusetzen. Es hat lange gedauert, bis Europa eine spezialisierte Gruppe entwickelt hat, der die Bestrafung oblag. Nehmen Sie das moderne Gerichtsverfahren. Ein solches Verfahren ist für eine moderne, liberale Gesellschaft eine sehr aufwendige Methode, private Information in öffentliche Information zu übersetzen, damit Rechtsbrecher bestraft werden können.«
    Als Bowles sich noch eingehender mit der Mathematik von Kooperation und Bestrafung befasste – und insbesondere als er bei seinen Modellen auch die Kriegsführung einbezog –, tauchte ein düsterer Aspekt auf, ein Phänomen, das er »parochialen Altruismus« nennt.
    Führt man die gleichen Simulationen erneut durch, lässt die Gruppen dieses Mal aber im Krieg gegeneinander antreten, dann ergibt sich aus den Berechnungen folgende optimale Situation: Drückeberger innerhalb der Gruppe werden von den Bestrafern hart angefasst. Bei diesem Szenario bekommt die Bestrafung ein noch größeres Gewicht, weil ein Drückeberger im Krieg die Gruppe ernsthaft in Gefahr bringen kann. Kooperation und Altruismus entwickeln sich noch stärker. »Gruppen mit einer großen Zahl von Altruisten tragen in Kriegen den Sieg davon«, sagt Bowles.
    Auf diese verblüffende, beunruhigende These möchte ich näher eingehen: Kriege waren in der Menschheitsgeschichte unerlässlich, damit sich Kooperation und Altruismus entwickeln
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