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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Elefanten gegenüber sehr abweisend verhielten.
    Dieses und andere Experimente ließen erkennen, dass Kinder bereits im Alter von drei Jahren eine ausgeprägte Tendenz besitzen, differenziert auf Verfehlungen von Dritten zu reagieren und diese zu bestrafen.
    Manche Anthropologen bezeichnen die »Bestrafung Dritter« als »altruistische« Bestrafung. Warum »altruistisch«? Die Antwort ist: Wer einen Dritten bestraft, der ihm direkt nichts Böses getan, sondern die in der Gruppe geltenden Normen verletzt hat, handelt damit altruistisch – das heißt, zum Wohle der Gruppe und nicht wegen eines persönlichen Vorteils. Dieses Individuum geht sogar ein gewisses Risiko für sich selbst ein, weil der Dritte, den es bestraft hat, zurückschlagen könnte.
    Bei den Schimpansen ist dieses Verhalten unbekannt. Was nahelegt, dass die altruistische Bestrafung ein spezifisches Ergebnis der menschlichen Evolution ist.

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    Kapitel 7
    Es gibt einen Mann, der sich seit zehn Jahren mit der Entwicklung der altruistischen Bestrafung beschäftigt: Samuel Bowles, ehemaliger Professor für Ökonomie an der University of Massachusetts, heute Forschungsprofessor und Leiter des Verhaltenswissenschaftlichen Programms am Santa Fe Institute. Bowles hat in Harvard seinen Doktor der Ökonomie gemacht. Mit seiner Forschungsarbeit stellte er die Annahme der herkömmlichen Ökonomie auf den Prüfstand, dass menschliches Handeln ausschließlich von Eigeninteresse motiviert ist. Dies veranlasste ihn dazu, sich mit der menschlichen Evolution und der Entwicklung altruistischen Verhaltens zu befassen.
    Um dieser tiefgreifenden Frage auf den Grund zu gehen, hat Bowles die Evolution kleiner Menschengruppen in mathematischen Modellen dargestellt und diese Modelle mit Studien über Jäger-und-Sammler-Gesellschaften verglichen. Seine Kernfrage war folgende: Wie hat sich altruistisches Verhalten entwickelt? Oberflächlich betrachtet würde man nicht annehmen, dass altruistisches Verhalten adaptiv ist. Wer sich selbst zum Wohle der Gruppe opfert oder einem Risiko aussetzt, wird seine Gene nicht so leicht weitergeben können wie eine egoistische Person, die für die Gruppe niemals etwas riskiert. Warum also bestehen menschliche Gesellschaften nicht nur aus egoistischen Menschen, die ausschließlich im Eigeninteresse handeln?
    Der Grund ist die Gruppenevolution. Eine Gruppe, in der die Individuen zum Wohle der Gruppe zusammenarbeiten, wird sich gegenüber einer Gruppe völlig egoistischer Menschen mit Erfolg durchsetzen. Als Bowles jedoch den evolutionären Vorteil direkter Kooperation im mathematischen Modell darstellte, kam er zu dem Schluss, dass es so gut wie keinen Vorteil gab. Gruppen, die lediglich aus kooperativen Individuen bestehen, entwickeln sich insgesamt nicht in eine sonderlich kooperative Richtung, und zwar wegen der Drückeberger. In einer solchen Gruppe besteht jedermanns bestes Interesse darin, ein Schmarotzer zu sein – das heißt eine Person, die von der Zusammenarbeit der Gruppe profitiert, ohne selbst etwas beizutragen. Der Drückeberger ist der Bursche, der sich unter einem Busch schlafen legt, während der Rest der Gruppe auf Mammutjagd geht – was ihn aber nicht daran hindert, beim späteren Festschmaus ungeniert zuzugreifen. Um Schmarotzer abzuschrecken, braucht die Gruppe »Bestrafer«. Sie braucht jemanden, der sagt: »He, du warst nicht mit uns auf der Jagd, jetzt bekommst du auch nichts zu essen.« Dann stellte Bowles den evolutionären Vorteil von Strafe zur Durchsetzung von Kooperation mathematisch dar. Und siehe da – Strafe hatte eine erhebliche Auswirkung auf die Entwicklung von Kooperation. Sie war der Schlüssel.
    Und so funktioniert es. Nehmen wir eine kleine Gruppe von, sagen wir, zweihundert Personen. Die Gruppe besteht fast ausschließlich aus kooperierenden Individuen, es sind aber auch einige Drückeberger darunter. Die Drückeberger tun nichts, tragen nichts bei, verbrauchen aber Ressourcen. Sie sind für die Gruppe von Nachteil. Wenn nun niemand in dieser Gruppe ist, der Kooperation durchsetzt, kommen die Drückeberger mit ihrem Verhalten durch und ziehen die ganze Gruppe nach unten. Sie schwächen die Gruppe.
    Mischt man ein paar »altruistische Bestrafer« darunter, kommt es zu einer dramatischen Veränderung. Die Schmarotzer werden bestraft. Die Zahl der Drückeberger sinkt gegen null, die Gruppe profitiert davon, und das kooperative Verhalten entwickelt sich in eine stark positive Richtung. Mit der
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