Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
draußen. Rupert saß auf einer Bank vor dem Souvenirladen. Ich musste ungefähr zehn Meter die Straße entlanggehen, bevor es mir gelang, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich drehte mich nach Christa um. Sie hob ihren Koffer hoch. Dann setzten wir uns alle drei von unseren verschiedenen Positionen in Bewegung, auf das Auto zu.
    Langsam wusste ich schon, wann eine bestimmte Häusergruppe auftauchen würde, wo die schlimmsten Kurven lagen, wann und auf welcher Seite das Gelände abfiel und zu einem Stück dichten Urwalds wurde. Sie saß neben mir und rieb geistesabwesend über einen Insektenstich am linken Unterarm.
    Wir gingen in dasselbe Hotel, und ich fragte nach einer Pool Suite. Wir folgten einem Zimmermädchen den Strand entlang und dann den Pfad hoch zu einem der Gartentore. So wie Christa auf den Garten und den Pool reagierte, wurde mirklar, dass sie die vorige Nacht in einem der ganz normalen Strandbungalows verbracht hatte.
    Als wir allein waren, folgte ich ihr ins Bad. Sie nahm eine Lotion aus ihrer Schminktasche und tränkte einen Wattebausch damit. Dann strich sie langsam mit der Watte über ihr Gesicht.
    »Du warst Nummer sieben«, sagte ich.
    »Sie haben nur vier mitgenommen.«
    »Wärst du allein hierher zurückgefahren? Oder auf dem Flughafen geblieben?«
    »Ich habe sehr wenig Geld. Ich habe nicht damit gerechnet.«
    »Die haben keinen Computer.«
    »Ich bin rausgefahren. Ich hatte von meinem Hotel aus angerufen. Sie führen verschiedene Listen. Zweimal konnten sie meinen Namen nirgendwo finden. Und man erfährt einfach nicht, wenn ein Flug annulliert wird.«
    »Das Flugzeug kommt nicht.«
    »Das stimmt«, sagte sie. »Das Flugzeug kommt nicht, und man weiß, dass man für nichts und wieder nichts rausgefahren ist.«
    Ich hielt ihr Gesicht in den Händen.
    »Ist das nichts?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Du fühlst doch.«
    »Ja, ich fühle.«
    Sie ging hinein und setzte sich aufs Bett. Dann schaute sie zur Tür und nahm mich wahr – eine verspätete Musterung. Nach einer Weile, in der Totenstille zu herrschen schien, wurde mir das sanfte Geräusch der heranrollenden Wellen bewusst und dass ich es die ganze Zeit gehört hatte, den Ozean,das Brechen und Auslaufen des bewegten Wassers. Christa betrachtete mich weiter, während sie nach ihrer Handtasche griff, die hinter ihr mitten auf dem Bett stand, und auch, während sie drinnen nach Zigaretten tastete.
    »Wie viel Geld hast du?«, fragte ich.
    »Hundert Dollar, in europäischer Währung.«
    »Weniger als zwei Taxifahrten hin und zurück.«
    »Ja, lustig. Das ist jetzt die Berechnungseinheit für unser Geld.«
    »Hast du letzte Nacht geschlafen?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Der Wind war unglaublich. Hat die ganze Zeit geblasen. Heftig, bis zum Morgengrauen. Ich liebe es, wie diese Art Wind klingt und sich anfühlt. Er war warm, fast heiß. Er hat diese Bäume da draußen gebeugt. Man konnte das Rauschen in den Bäumen hören. Dieses schwere, rauschende Prasselgeräusch.«
    »Bei der Lautstärke, bei der Windstärke konnte man sich gar nicht vorstellen, dass er warm war.«
    Wenn alles neu ist, liegt der Spaß auf der Haut. Ich fand es rätselhaft befriedigend, ihren Namen laut auszusprechen und die Farben ihres Körpers aufzusagen. Haare und Augen und Hände. Der Neuschnee ihrer Brüste. Absolut gar nichts wirkte banal. Ich wollte am liebsten Listen und Klassifizierungen aufstellen. Schlicht, grundlegend, wahr. Ihre Stimme war weich und wissend. Ihre Augen waren traurig. Manchmal zitterte ihre linke Hand. Sie war eine Frau, die schwere Zeiten hinter sich hatte, eine quälend schlechte Ehe vielleicht oder den Tod eines nahen Freundes. Ihr Mund war sinnlich. Beim Zuhören ließ sie den Kopf in den Nacken sinken. Das Braun ihrer Haare war nichts Besonderes, etwas Grau war darin,feine Strähnen oder Reflexe, die je nach Lichteinfall zu kommen und zu gehen schienen.
    All das sagte ich ihr und mehr, beschrieb ihr ziemlich detailliert, wie ich sie sah, und Christa schien sich über diese Aufmerksamkeit zu freuen.
    Wir nutzten den Morgen im Bett. Nach dem Mittagessen ließ ich mich im Pool treiben. Christa lag nackt im Schatten, zog sich immer weiter dorthin zurück, sobald die Sonnenlinie ihren Ellbogen oder den Rand ihrer rosa Ferse erreichte.
    »Wir müssen allmählich nachdenken«, sagte sie. »Es gibt ein Flugzeug um fünf.«
    »Wir stehen nicht mal mehr auf der Warteliste. Wir sind los, ohne ihnen zu sagen, dass sie unsere Namen aufrücken lassen sollen. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher