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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda
Autoren: Don DeLillo
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schwach, als sei sie zu müde, um meinen Bemerkungen zu folgen. Wir waren in den Hügeln, unterwegs Richtung Süden. Mir wurde klar, was diese Hafenstadt weniger blass und beliebig wirken ließ als die anderen kleinen Häfen, die wir angelaufen hatten. Steinhäuser. Es sah fast mediterran aus.
    Im Hotel bekamen wir problemlos ein Zimmer. Rupert sagte, er würde uns am nächsten Morgen um fünf erwarten. Zwei Zimmermädchen gingen über den Strand voraus, ein Träger folgte. Wir teilten uns in zwei Gruppen auf, und Jill und ich wurden zu einer sogenannten »Pool-Suite« geführt. Hintereiner drei Meter hohen Mauer befand sich ein privater Garten mit Hibiskus, diversen Sträuchern und einem Kapokbaum. Der kleine Pool gehörte auch uns. Auf der Terrasse begrüßte uns eine Schale voller Bananen, Mangos und Ananas.
    »Gar nicht so übel«, sagte Jill.
    Sie schlief eine Weile. Ich ließ mich im Pool treiben und spürte, wie die unbehagliche Anspannung von mir abfiel, der Ärger, wenn man irgendwo als Gruppe hinkommen wollte – organisiertes Reisen. Dieser Ort hier war so nah an der Vollkommenheit, dass wir uns nicht einmal klarmachen wollten, was für ein Glück wir hatten, hergebracht worden zu sein. Die besten neuen Orte mussten vor unseren eigenen Freudenschreien geschützt werden. Wir würden wochen- oder monatelang die Worte zurückhalten, bis zu dem milden Abend, an dem uns eine beiläufige Bemerkung ins Erinnern brachte. Wahrscheinlich glaubten wir gemeinsam daran, dass eine falsche Stimme eine Landschaft entwerten konnte. Diese Empfindung selbst blieb unausgesprochen und war eine der Quellen unserer Nähe.
    Ich schlug die Augen auf und sah windgetriebene Wolken – jagende Wolken – und einen einzelnen Fregattvogel, der mit langen, ausgebreiteten, ruhigen Schwingen auf einem Luftstrom segelte. Die Welt und alle Dinge darin. Ich war nicht so einfältig zu glauben, ich befände mich im Schoß irgendeines Uraugenblicks. Dieses Hotel war ein modernes Produkt, so entworfen, dass die Menschen das Gefühl bekamen, die Zivilisation hinter sich gelassen zu haben. Aber ebenso wenig, wie ich naiv war, hatte ich Lust, mir diesen Ort durch Skepsis zu verderben. Wir hatten einen halben Tag schierer Frustration hinter uns, lange Fahrten hin und zurück,und das kühlende Süßwasser auf meiner Haut, der über dem Ozean aufsteigende Vogel und die Geschwindigkeit dieser tief fliegenden Wolken, ihre massiven, sich überschlagenden Gipfel und mein schwereloses Dahintreiben, meine langsamen Drehungen im Pool – wie ein ferngesteuerter Rausch – gaben mir das Gefühl, ich wüsste, was es bedeutete, auf der Welt zu sein. Es war besonders, ja. Der Traum von der Schöpfung, der bei der Suche des ernsthaften Reisenden am Rande aufschimmert. Fehlte nur noch Jill, die durch die transparenten Vorhänge schritt und sich lautlos in den Pool gleiten ließ.
    Wir aßen im Pavillon zu Abend, mit Blick über das ruhige Meer. Die Tische waren nur zu einem Viertel besetzt. Die europäische Frau, unsere Taxigefährtin, saß in der hintersten Ecke. Ich nickte ihr zu. Entweder sah sie es nicht oder wollte nicht reagieren.
    »Sollten wir sie nicht an unseren Tisch bitten?«
    »Sie will nicht«, sagte ich.
    »Schließlich sind wir Amerikaner. Wir sind berühmt dafür, andere Menschen zu uns zu bitten.«
    »Sie hat sich den abgelegensten Tisch ausgesucht. Sie fühlt sich wohl dort.«
    »Sie könnte eine Wirtschaftsexpertin aus dem Sowjetblock sein. Was meinst du? Oder eine, die eine Gesundheitsstudie für die UNO macht.«
    »Ganz daneben.«
    »Eine recht junge Witwe, Schweizerin, die das Vergessen sucht.«
    »Keine Schweizerin.«
    »Deutsche«, sagte sie.
    »Genau.«
    »Dieziellos über die Inseln streunt. An den abgelegensten Tischen sitzt.«
    »Die waren nicht überrascht, als ich sagte, wir hätten das Frühstück gern um halb fünf.«
    »Die ganze Insel muss sich nach dieser stinkenden Drecks-Airline richten. Das ist grässlich, einfach grässlich.«
    Jill trug eine lange Tunika über einer Hose aus Chiffon. Wir ließen unsere Schuhe unter dem Tisch stehen und schlenderten über den Strand, einmal sogar ins Wasser, bis zu den Knien. Ein Security-Mann stand unter den Palmen und behielt uns im Blick. Als wir an den Tisch zurückkehrten, brachte ein Kellner Kaffee.
    »Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie zwei von der Warteliste mitnehmen können, aber nicht drei«, sagte Jill. »Ich muss auf jeden Fall am Mittwoch zurück sein, aber ich
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