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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda
Autoren: Don DeLillo
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zu können. Draußen vorm Terminal hatten sich verschiedene Leute versammelt. Ein stämmiger Mann, Inder oder Pakistani, wartete an der Tür. Ich hatte ihn schon am Vortag am Schalter gesehen, er hatte in einem gestreiften Blazer eingekeilt dagestanden und geschwitzt. Jetzt hatte er etwas an sich, etwas In-sich-Gekehrtes, eine fast gespenstische Ruhe, die mich auf die Idee brachte, bei ihm stehen zu bleiben.
    »Es kursiert das Gerücht, sie wäre abgestürzt«, sagte er.
    Wirsahen uns nicht an.
    »Wie viele an Bord?«
    »Acht Passagiere, drei Crewmitglieder.«
    Ich ging hinein. Es befanden sich nur zwei Menschen im Terminal, und der Schalter war leer. Ich trat hinter den Schalter und öffnete die Tür zum Büro. Zwei Männer in weißen Hemden saßen einander gegenüber, zwischen ihnen Schreibtische, die Rücken an Rücken gestellt waren.
    »Stimmt das?«, fragte ich. »Sie ist abgestürzt?«
    Sie sahen mich an.
    »Die Maschine aus Trinidad. Die Sechs-fünfundvierzig. Nach Barbados. Die ist nicht abgestürzt?«
    »Der Flug ist annulliert«, sagte einer von ihnen.
    »Draußen sagen die Leute, sie wäre in den verdammten Ozean gestürzt.«
    »Nein, nein – annulliert.«
    »Was ist passiert?«
    »Start war unmöglich.«
    »Böen«, sagte der zweite.
    »Sie hatten eine ganze Reihe Probleme.«
    »Ist also nur annulliert worden«, sagte ich, »und es gibt nichts Ernstes.«
    »Sie haben nicht angerufen. Sie müssen anrufen, bevor Sie rausgefahren kommen. Immer anrufen.«
    »Andere Leute rufen an«, sagte der Zweite. »Deshalb sind Sie ganz allein hier.«
    Ich zeigte ihnen die Tickets, und einer von ihnen schrieb sich unsere Namen auf und sagte, er erwarte das Flugzeug hier rechtzeitig für den Abflug um zwei Uhr.
    »Was für einen Status haben wir?«
    Er sagte, ich solle anrufen, bevor ich rausführe. Ich ging durchden mittlerweile menschenleeren Terminal. Der stämmige Mann stand immer noch vor der Tür.
    »Sie ist nicht runtergekommen«, teilte ich ihm mit.
    Er sah mich an und dachte nach.
    »Sie ist also in der Luft?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Böen«, sagte ich.
    Kinder rannten vorbei. Ruperts Taxi parkte in einem kleinen offenen Bereich etwa dreißig Meter entfernt. Keiner am Steuer. Als ich näher kam, sah ich, wie sich Christa auf dem Rücksitz nach vorn lehnte. Sie entdeckte mich und stieg aus und wartete an der geöffneten Tür.
    Ich hielt es für das Beste, mit dem Gerücht vom Absturz anzufangen. Sie würde aufatmen, wenn sie hörte, dass das nicht stimmte. Und so auch die Annullierung leichter hinnehmen.
    Aber als ich anfing, wurde mir klar, dass jegliche Taktik zwecklos war. Ihr Gesicht erstarb langsam. Sämtliche Ichs brachen nach innen ein. Sie wurde unzugänglich und totenstill. Ich redete immer weiter, sonst fiel mir nichts ein, und merkte, dass ich noch deutlicher sprach, als man es ohnehin schon Ausländern gegenüber tut. Es nieselte. Ich versuchte ihr zu erklären, dass wir höchstwahrscheinlich später am Tage wegkommen würden. Ich sprach langsam und deutlich. Die Kinder kamen angelaufen.
    Christa bewegte die Lippen, sagte aber nichts. Sie schob sich an mir vorbei und hastete die Straße entlang. Sie war im Busch hinter einem Schuppen aus Teerpappe, als ich sie einholte. Zitternd fiel sie mir in die Arme.
    »Alles ist gut«, sagte ich. »Du bist nicht allein, es wird nichts passieren, es ist doch nur ein Tag. Alles ist gut, alles ist gut.Wir werden einfach zusammen sein, sonst nichts. Nur noch ein Tag, sonst nichts.«
    Ich hielt sie von hinten, sprach sehr leise, mein Mund an der Muschel ihres rechten Ohrs.
    »Wir werden allein im Hotel sein. Fast die einzigen Gäste. Du kannst dich den ganzen Tag ausruhen und an nichts denken, gar nichts. Es ist egal, wer du bist oder warum du hier hängen geblieben bist oder wo du als Nächstes hinwillst. Du brauchst dich nicht einmal zu rühren. Leg dich in den Schatten. Ich weiß, du liegst gern im Schatten.«
    Ich berührte ihr Gesicht sanft mit dem Handrücken, streichelte sie wieder und wieder, streicheln, dieses wunderschöne Wort.
    »Wir werden einfach zusammen sein. Du kannst dich ausruhen und schlafen, und heute Abend trinken wir in Ruhe einen Brandy, dann wird es dir mit allem bessergehen. Ich weiß es, ich bin mir sicher, ich bin absolut davon überzeugt. Du bist nicht allein. Alles ist gut, alles ist gut. Wir haben nur noch diese letzten Stunden, sonst nichts. Und du wirst Deutsch mit mir sprechen.«
    Im Nieselregen gingen wir zurück, die Straße
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