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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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schenkte. Still liegt der Wald da, und aus den Stoppelfeldern, die zu ihm hinansteigen, kriecht der Nebel, der Mantel der Riesen von Dasshebdn. Ein Rudel Rehe auf einem trostlosen Acker lauscht und kaut und stört sich nicht am Quietschen meiner Pedale.
    Hier bin ich oft mit Dafydd gegangen. Als ich zehn war und mein Bruder 15, hatten wir gemeinsam Unterricht bei Mrs. Simms. Die älteren Schüler saßen in den hinteren, die jüngeren in den vorderen Bankreihen. War die Schule aus, stromerten wir an den Steinmauern entlang und liefen querfeldein bis zum Usk, um dort zu schwimmen. Es muss das Jahr gewesen sein, als Blériot über den Kanal flog. Denn ich weiß noch, wie wir mit Blicken den Himmel absuchten, wenn wieder einmal in der Zeitung stand, auch Wales erhebe sich in die Lüfte. Ich habe seinen Namen vergessen, aber in Swansea gab es einen Geschäftsmann, der sich aus Frankreich einen Blériot-Monoplan kommen ließ und der einen Sommer lang den Versuch unternahm, mit diesem Eindecker, den zwar keiner von uns je zu Gesicht bekam, aber den die Zeitung als fliegende Dreschmaschine beschrieb, über den Severn nach Portishead zu fliegen. Ich erinnere mich an ein peinliches Gefühl von Unaufrichtigkeit, denn mir bedeutete die Fliegerei an sich nichts, ich ahmte bloß die Begeisterung meines Bruders nach und hätte das wohl auch getan, wenn er sich stattdessen für Pferde oder Pilze ein Bein ausgerissen hätte. Dafydds Traum war, einmal zu erleben, was damals jeder Junge, sogar ich, in allen Einzelheiten wiedererzählen konnte, dass nämlich Wilbur Wright während eines Fluges über Frankreich die Orientierung verlor, auf einem Feld notlandete und dort einen wahrscheinlich kreidebleichen Obstbauern bat, mit ihm aufzusteigen.
    Natürlich ist der Flugmensch aus Swansea, wie mein Vater den Mann nannte, nie gekommen, um Dafydd mitzunehmen, und selbst »der Wilbur«, wie mein Bruder immer gesagt hat, fliegt heute nicht mehr, sondern lässt Flugzeuge bauen in seiner Fabrik in Amerika. Erst im Juni 1915, als ich mit der eingeschlossenen ENDURANCE durchs Weddellmeer driftete und auf der Scholle das denkwürdige antarktische Fußballderby stattfand, ging Dafydds Traum vom Fliegen in Erfüllung. In Merthyr Tydfil schraubte er nächtelang einen ausrangierten Dreidecker wieder zusammen, und William Bishop, für den Herman und Dafydd das Problem des Propeller- MG s inzwischen gelöst hatten, zeigte sich so dankbar wie König Artus gegenüber den Riesen von Dasshebdn, denn er gab Dafydd zunächst ein paar Flugstunden und ließ ihn dann mit dem alten Sopwith Triplan anstellen, wonach meinem Bruder der Sinn stand.
    Dafydd tat, was auch ich getan hätte, er flog hinüber nach Pillgwenlly und drehte dort Schleifen über dem Haus unserer Eltern, bis meine Mutter kreischend hineinlief. Die ersehnte Anerkennung hat es ihm nicht eingebracht. Als ich meinem Vater erzählte, Shackleton habe ein nur von Robben bewohntes Eiland in Südgeorgiens König-Haakon-Bucht nach mir benannt und habe das sogar dem König telegrafiert, da sagte Dad, mich im Arm, zu Dafydd: »Hörst du das? Das ist die Seefahrt! Und du knatterst durch die Luft.«
    Und Herman, wo steckt Herman, der es fertig gebracht hat, meiner unausstehlichen Schwester einen Sinn im Leben zu geben? Herman knatterte nicht durch die Luft. Mit Eisenbahn und Fahrrad kam mein Schwager an jedem Wochenende seit Kriegsbeginn von Merthyr Tydfil heim nach Pillgwenlly, um Regyn und das Baby zu sehen, das sie, nach dem Flieger und nach mir, William Merce genannt haben. Drei Monate lang durfte Herman seinen Stammhalter noch miterleben, fast zweimal so lang schon steht jetzt sein Fahrrad ungenutzt im Brennholzschuppen.
    Ich lehne Dads Rad dagegen.
    Das große Küchenfenster ist dunkel, nur in der Stube und oben im Schlafzimmer meiner Schwester brennt Licht. Die Verandalaterne flackert. Aber das scheint bloß so, weil sich die Zweige der Kastanie im Wind leicht auf und nieder bewegen und das Leuchten dann immer wieder kurz unterbrechen. Der Kiesweg, den mein Vater neu gestreut hat, führt unter der Kastanie hindurch, und ich weiß, wer mich erwartet, wenn ich dort entlangkomme, die Fledermäuse nämlich, die oben in der Baumkrone leben und von dort aus ihre Rundflüge starten.
    Es ist genauso viel unverändert geblieben, wie sich verändert hat. Der Kies ist neu, und Regyn hat ein Baby. Die
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