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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König
Autoren: John Henry Eagle
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zerfloss zum wabernden Nebelstreif. Grimm warf das Schwert weg, packte die Flasche mit beiden Händen und hielt sie dem Nebelstreif entgegen.
    Er floss blindlings hinein.
    Grimm stieß den Korken in den Flaschenhals, schlug mit der Faust darauf, bis er ganz festsaß. Dann sank er auf das Lager, die Flasche im Schoß. Hinter dem grünlichen Glas sauste der Nebelstreif hin und her. Barbera versuchte vergeblich, sich zurückzuverwandeln. Sie presste ihr Gesicht gegen das Glas, glotzte Grimm an. Hände formten sich, Arme und Beine, aber es gelang ihr trotz aller Anstrengungen nicht, ihre alte Gestalt wieder anzunehmen. Sie zeterte hohl und unverständlich.
    Grimm sank über der Flasche zusammen, umschlang sie wie eine lange vermisste Geliebte. Schließlich erhob er sich, denn der Samt auf den Wänden war von den glühenden Kohlen in Brand gesetzt worden. Flammen leckten an der Decke, Rauch trübte die Sicht. Grimm packte die Flasche in eine Kiste, ließ die Riegel zuschnappen und verließ die brennende Hütte.
    Draußen lud er die Kiste auf den Rappen. Dann ritt er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
     
    Noch bevor Grimm die Feste der Gografen erreichte, begann es zu schneien. Wie der Herbst setzte auch der Winter in diesem Jahr früh ein. Das geschundene Land lag bald unter einer dünnen, weißen Decke.
    Grimm trabte gemächlich dahin. Auf dem Heerweg, der so lange verwaist gewesen war, kamen ihm Wandergesellen und Händler entgegen. Die meisten schlugen einen großen Bogen um den finsteren Reiter mit den rubinroten Augen. In den Herbergen, in denen vor nicht allzu langer Zeit Säufer und Prahlhänse das zu Gold gesponnene Stroh verprasst hatten, ging es wieder ruhiger zu. Grimm hielt sich nur kurz in den Schankstuben auf. Er setzte sich in eine Ecke, aß einen Happen und ging dann in den Stall, um nach der Kiste zu schauen: Die Flasche war heil, der Nebelstreif noch darin, und wenn Barberas flehende Augen hinter dem grünen Glas erschienen, schlug er die Kiste zu und schloss die Riegel.
    Schließlich tauchte die Feste in der Ferne auf. Viele Mauern und Türme waren bei der Belagerung zerstört worden, aber das Banner mit Stern und Kornähren wehte auf dem Bergfried – die Gografen hatten ihre Feste wieder in Besitz genommen. Grimm ritt ebenso dreist auf den Werder, wie er kürzlich in das Feldlager des Eisernen Königs geritten war, und die Wächter ließen ihn genauso verblüfft durch. Als er zum Schloss trabte, stieß er auf Reineke Fuchs, der ein Huhn im Maul trug.
    Grimm zügelte den Rappen. »Aha«, rief er. »Ertappt!«
    Der Fuchs erstarrte, denn das Huhn war tatsächlich gestohlen. Er sah sich so hektisch um, dass der Hühnerkopf hin und her flog, und als er die Flucht ergriff, stoben Federn.
    Grimm lachte wahrhaft grimmig in sich hinein. Dann gab er seinem Pferd einen Klaps auf die Kruppe und ritt weiter. Ein Pferdegespann, das einen Leiterwagen mit Verwundeten zog, rumpelte hinter ihm auf dem Schlossplatz. Überall standen Zelte für die Opfer der Schlacht. Ein Wundarzt putzte am Brunnen die Messer, in braune Kutten gehüllte Pflegerinnen eilten geschäftig hin und her. Grimm lenkte sein Pferd durch die Zeltstadt zur Freitreppe des halb zerstörten Schlosses. Die Gografen schienen auch gerade erst eingetroffen zu sein; ihre schweißtriefenden Streitrösser wurden in den Stall geführt. Er band den Rappen an den Ranunkelstrauch, den die Jungfrau bewundert hatte, bevor sie von dem Wesen der Wilden Jagd getötet worden war, nahm die Kiste und betrat das Schloss. In der Eingangshalle begegnete er Hans, der den linken Arm in einer Schlinge trug.
    »Zum Gruß, Räuber«, rief Grimm. »Es hat lange gedauert, bis ich dich erkannt habe, aber es freut mich, dass wenigstens einer meiner Männer noch lebt. Ach, die gute, alte Zeit!«
    »Mir kommt es vor, als wäre sie ewig her«, murmelte Hans.
    Grimm nahm den Helm ab und starrte die Suppenkelle an, die immer noch darauf steckte. »Ja, es ist viel passiert«, erwiderte er. »Jetzt brechen neue Zeiten an, und das Räuberleben wird nicht mehr sein, was es einmal war.« Er stellte die Kiste ab, setzte einen Stiefel darauf und sagte: »Wie dem auch sei – ich bringe euch Barbera.«
    »Wo ist sie?«, fragte Hans.
    »Hier«, antwortete Grimm und ließ den Hacken auf die Kiste knallen.
    Hans zog ungläubig die Augenbrauen hoch.
     
    Die Gografen standen im Rittersaal. Hilck von der Usse hielt Hella im Arm und kratzte sich im Bart, der so struppig und zerzaust wie das
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