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Der Eid der Heilerin

Der Eid der Heilerin

Titel: Der Eid der Heilerin
Autoren: Posie Graeme-evans
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von ihren düsteren, althergebrachten Denkweisen abzubringen, doch an einem Tag wie Samhain war dies ein fruchtloses Unterfangen. Dieser Tag, an dem bis spät in die Nacht geschlemmt und getrunken wurde, besaß eine urtümliche Kraft, die stärker war als jede Predigt. Da der Pfarrer ein vernünftiger Mann war, dem das Wohlergehen seiner Schafe am Herzen lag, schloss er sich den Festlichkeiten an und hoffte, durch seine Gegenwart die schlimmsten Auswüchse zu verhindern.
    An Samhain war es jedoch auch Brauch, sich die Zukunft vorhersagen zu lassen. Und dieses Mal hatte Anne Deborah gebeten, auch ihr die Zukunft zu deuten.
    »Dafür bist du noch zu jung. Das ist kein Spiel, Anne. Der Pfarrer wird es nicht gerne sehen.« Deborah hatte das Mädchen beiseite genommen, fort von der langen Tafel, wo die lauten, fröhlichen Dörfler miteinander scherzten. Das Mädchen war verwirrt über den ernsten Gesichtsausdruck ihrer Ziehmutter.
    »Warum willst du in deine Zukunft schauen?«
    »Ich möchte nur wissen, ob ich auch einen Mann bekomme. Den anderen erzählst du es doch auch ...«
    Deborah wandte sich ab, als sie den Blick des Pfarrers bemerkte, der unmerklich den Kopf schüttelte. Dann blickte sie zurück zum Wald, wo ihre Hütte stand. Es sah aus, als würde sie auf etwas lauschen, etwas, das lange Zeit zurücklag. Schließlich seufzte sie tief und nickte, sorgsam darauf bedacht, dass der Pfarrer nichts sehen konnte. »Du hast Recht. Setz dich hin.«
    Anne lehnte sich gegen einen Eichenstamm und sank in das trockene, braune Herbstlaub, während Deborah ihre Schale vom Tisch holte. Die Strahlen der untergehenden Sonne verbreiteten immer noch etwas Wärme, in der Luft lag der Duft von Gebratenem und von frischem Bier. Das Mädchen döste ein.
    Deborahs Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. »Hier, Kind. Schau ins Wasser und sag mir, was du siehst...«
    Das Mädchen blickte sie erstaunt an. »Ich? Willst du denn nicht wahrsagen, Deborah?«
    Die Stimme ihrer Ziehmutter war zu einem leisen Summen geworden. »Schau in die Schale, Anne ... Konzentrier dich. Schau einfach ins Wasser ... Was siehst du? Was zeigt dir die Zukunft?«
    Vielleicht war es die Erinnerung an einen Traum, der ihr immer noch durch den Kopf ging, vielleicht der Klang von Deborahs Stimme, jedenfalls fühlte sich das Mädchen wohlig warm und sicher, wie ein Kind, das in seinem warmen Bettchen in seinen Träumen versinkt, während draußen die Winterstürme toben ...
    »Ich sehe ein Gesicht...«
    »Beschreibe mir, was du siehst.« Wieder hatte Deborahs Stimme diesen eigentümlichen, summenden Klang.
    Anne zögerte, ehe sich ihre Miene erhellte. »Sieh nur! Da ist er. Ich sehe ihn. Aber seine Augen kann ich nicht erkennen ... wegen des Helmes. Oh!« Das Mädchen setzte sich so rasch auf, dass ihr die glasierte Keramikschale entglitt und das Wasser über ihr Kleid spritzte. »Blut! Überall Blut!«
    Ihr Schrei schnitt durch das Stimmengewirr der Feiernden. Die Dörfler verstummten und starrten zu den beiden Frauen unter der großen Eiche hinüber. Deborah winkte ihnen fröhlich zu. »Zu viel Bier! Diese jungen Mädchen!«, rief sie, worauf Anspannung allgemeinem Lachen wich - einem unsicheren Lachen. Samhain war eine unheimliche Zeit, das wusste jeder.
    Trotzig tauschte Deborah einen Blick mit dem Pfarrer, als er Anne auf die Füße half.
    »Keine Sorge, Vater, sie ist nur müde. Es war ein langes Fest.«
    Von dieser Stunde an war alles anders.
    Einige Zeit später erklärte Deborah Anne, im Frühjahr sei es an der Zeit, dass sie nach London ginge, um in einem frommen Haushalt Dienst zu tun. Dort könne sie ihre Ausbildung vollenden, denn sie, Deborah, könne ihr in ihrer kleinen, behüteten Welt nichts mehr beibringen. Nächtelang weinte sich das Mädchen in den Schlaf, aber Deborah war unerbittlich, obwohl es beiden das Herz brach. Und so kam es, dass das Mädchen, unglücklich und niedergeschlagen ob der bevorstehenden Trennung, ihrer Ziehmutter immer weiter in die Stadt folgte, bis sie zur geschlossenen Pforte eines großen, dunklen Hauses gelangten.

Hewlett-Packard
    Kapitel 2
    »Du kannst Lateinisch lesen und schreiben, sagst du?«
    Der Mann auf dem thronartigen Stuhl musterte Anne misstrauisch und strich mit geübter Hand die edle Seidenbespannung auf seinem Schreibtisch glatt.
    »Ja, Herr - und ein bisschen Französisch und Englisch - und rechnen kann ich auch. Außerdem kenne ich mich mit Heilkräutern aus, kann färben und habe gelernt, Leder zu
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