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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel
Autoren: Thomas Metzinger
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möglicherweise genau hier auf jene begrifflichen Einsichten stoßen, die uns für das Gesamtbild noch fehlen.
    In den folgenden Kapiteln werde ich Sie schrittweise durch die aktuell stattfindende Bewusstseinsrevolution führen. In den Kapiteln 1 und 2 werden einige grundlegende Konzepte der gegenwärtigen Bewusstseinsforschung eingeführt, und vor allem werfen wir bereits einen ersten Blick in die innere Landschaft des Ego-Tunnels. In Kapitel 3 werden wir außerkörperliche Erfahrungen, virtuelle Körper und Phantomglieder näher untersuchen. In Kapitel 4 wird es dann um das Gefühl der »Meinigkeit«, um Handlungsbewusstsein und Willensfreiheit gehen, in Kapitel 5 um Träume und das Phänomen des Klartraums, in Kapitel 6 um Empathie, Einfühlungsvermögen und Spiegelneuronen und in Kapitel 7 schließlich um Künstliches Bewusstsein und die Möglichkeit postbiotischer Ego-Maschinen. All dies wird uns dabei helfen, die innere Landschaft des Ego-Tunnels zu kartographieren und immer genauer kennenzulernen. Die beiden abschließenden Kapitel behandeln dann die Folgen dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die innere Natur unseres bewussten Geistes: die mit ihnen verbundenen ethischen Herausforderungen sowie die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die als Folge der naturalistischen Wende im Menschenbild möglicherweise auftreten könnten (und zwar schneller, als viele von uns heute vielleicht noch denken). Am Ende des Buchs werde ich kurz dafür argumentieren, dass wir, um der Situation wirklich gerecht zu werden, im Grunde so etwas wie eine neue »Bewusstseinsethik« brauchen. Wenn es uns nämlich gelingt, eine umfassende Theorie des Bewusstseins aufzubauen, und wenn wir immer genauere und raffiniertere Werkzeuge zur Veränderung der Inhalte des subjektiven Erlebens entwickeln, dann werden wir uns bald sehr gründlich mit der Frage auseinandersetzen müssen, was überhaupt ein guter Bewusstseinszustand ist. Wir benötigen dringend neue und überzeugende Antworten auf Fragen wie die folgenden: Welche Bewusstseinszustände wollen wir fördern und kultivieren, welche sollten wir aus ethischen Gründen aus unserer Gesellschaft verbannen? Welche Bewusstseinszustände dürfen wir anderen Tieren oder Maschinen aufzwingen? Welche Bewusstseinszustände wollen wir unseren Kindern zeigen, in welchen wollen wir sterben? Selbstverständlich kann ich keine abschließenden Antworten auf all diese Fragen geben. Die beiden Schlusskapitel sollen jedoch vielmehr unsere Aufmerksamkeit auf die wichtige neue Disziplin der »Neuroethik« lenken, eine normative Perspektive in die Bewusstseinsforschung einführen und auf diese Weise unseren Horizont noch einmal erweitern.
Das phänomenale Selbstmodell
    Bevor ich das Bild des »Ego-Tunnels« erläutere – die zentrale Metapher, die uns als eine Art roter Faden durch die weitere Diskussion in diesem Buch begleiten wird –, möchte ich kurz auf ein Experiment eingehen, das einen starken Hinweis auf die rein subjektive, erlebnismäßige Natur des bewussten Selbst liefert. Im Jahr 1998 führten die Psychiater Matthew Botvinick und Jonathan Cohen von der Universität Pittsburgh ein mittlerweile klassisches Experiment durch, bei dem gesunde Versuchspersonen ein künstliches Gliedmaß als Teil ihres eigenen Körpers erlebten. 1 Die Probanden betrachteten eine Gummihand, die vor ihnen auf dem Schreibtisch lag, wobei die ihr entsprechende eigene Hand durch eine Abschirmung verdeckt war. Die sichtbare Gummihand und die unsichtbare Hand des Probanden wurden dann in einem synchronen Rhythmus mit einem Stäbchen gestreichelt. Das Experiment lässt sich leicht wiederholen: Nach einer gewissen Zeit (bei mir sind es zwischen sechzig und neunzig Sekunden) tritt die berühmte Gummihand-Illusion auf. Plötzlich erleben Sie die Gummihand als Ihre eigene Hand, und – was noch viel verblüffender ist – Sie fühlen die rhythmisch wiederholten Berührungen sogar in dieser Gummihand. Außerdem erleben Sie einen vollständigen »virtuellen Arm«, das heißt eine durchgehende Verbindung von der Schulter bis zur Handattrappe, die vor Ihnen auf dem Tisch liegt.

    Abb. 1: Die Gummihand-Illusion . Eine gesunde Versuchsperson erlebt eine künstliche Gummihand als Teil ihres eigenen Körpers. Der Proband betrachtet eine Nachbildung einer menschlichen Hand, während seine eigene Hand verdeckt ist (dunkelgraues Feld). Sowohl die künstliche Gummihand als auch die unsichtbare Hand werden wiederholt
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