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Der Durchblicker: Novelle (German Edition)

Der Durchblicker: Novelle (German Edition)

Titel: Der Durchblicker: Novelle (German Edition)
Autoren: Irvine Welsh
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Kotze auf nen alten NME zu zielen. Ich lehn mich nen Moment an die Wand und atme erst mal durch, dann mache ich das Fenster auf und schmeiß den ganzen Salat in den Hinterhof.
    Ich leg mich aufs Bett. Ist schon besser. In der Seifenoper im Fernsehen ist eine nett aussehende Frau. Auf einmal seh ich sie als altes Hutzelweib, aber sie ist nicht mehr im Fernsehen, sie ist im Zimmer. Dann ändert sich was, und bei mir ist dieser Stuart Meldrum, der in Leith von dem Fabrikdachgerutscht ist, als wir noch Kinder waren. Das war, ehe wir hier rausgezogen sind. Es war ein Wellblechdach, das steil abfiel. Stu rutschte mit dem Fuß ab, stürzte und schlitterte runter. Das Dumme war, dass da ne Reihe Doppelnieten rausstand, und die schlitzten ihn sozusagen auf.
    Jetzt ist er wieder bei mir, und sein Gesicht ist aufgerissen, und die Gedärme quellen aus seinem blutverschmierten Leib. Er hält einen Ball, einen gelben Ball, unterm Arm.– Lust auf ne Runde Kicken, Bri? fragt er.
    Ist doch ne Idee. Kicken. Gegen die Fabrikmauer. Er stellt sich ganz dicht vor die Mauer und drischt den Ball dagegen. Der Ball springt im spitzen Winkel zurück und rollt dann weg. Ich renne ihm nach, aber irgendwie wird er immer schneller. Ich versuche, nen Zahn zuzulegen, werd aber irgendwie nicht schneller. Ich seh nur noch, wie der Ball die Straße runterhüpft, als würde ihn der Wind wegwehen, fast als wär’s ein Luftballon, aber gleichzeitig ist die Umgebung ruhig und windstill. Meine Mutter steht vor mir, in einem geblümten Kleid, und hat den Ball in der Hand. Sie sieht jung und wunderschön aus, so wie ich sie zum letzten Mal gesehen habe, als ich noch zur Grundschule ging. Ich bin genauso groß wie sie, so groß wie ich heute bin, aber sie nimmt mich an der Hand und führt mich eine leicht ansteigende Straße hoch, die lauter schicke Vororthäuschen säumen, und ich frage sie:– Ma, warum hast du uns verlassen?
    – Weil ich einen Fehler gemacht habe, Sohn. Du warst ein Fehler. Er hätte nie passieren dürfen. Du, dein Vater, diese Orte, an denen wir lebten. Ich liebe dich und Derek, aber ich musste mein eigenes Leben führen, Sohn. Dich hätte es gar nicht geben sollen. Ich wollte nie einem Schlauscheißer das Leben schenken.
    Ich sehe Alec Boyle und den Hai, sie tragen weiße Anzüge. Beide nicken weise. Dann merke ich, dass ich auf denBildschirm glotze und alles okay ist; ich bin wieder in der Fernseh-Seifenoper, nicht in meiner eigenen.
    Nach einer Weile krieg ich echt üble Krämpfe, also krieche ich unter die Decke und versuch mich gesund zu schlafen. Als mein Alter wiederkommt, sag ich ihm, ich hätte mir ne Grippe eingefangen, und bleib dann drei Tage im Bett, bis ich wieder Dienst im Park hab.

3
Der Kamerad als Opiat
    Nie wieder fass ich Smack an. Das ist was für Verlierer. Alle, die ich kennengelernt hab und die meinten, sie hätten das im Griff, sind jetzt entweder tot, gerade am Sterben oder führen ein Leben, das zu leben sich nicht lohnt. War ich vielleicht bescheuert. Ich sitz in meiner Baracke und bin immer noch voll fertig. N verplempertes Wochenende. Nee, Speed ist meine Droge, Speed und Eckys. Scheiß auf Smack.
    Es wird eine langweilige Spätschicht werden. Das Buch von Sutcliffe war okay. Guter Lesestoff. Ja, das Leben schreibt die besten Geschichten. Sutcliffe war ein Mann mit schweren emotionalen Problemen. Sutcliffe war n Arschloch. War der vielleicht gestört. Es gibt Sachen, die sind nie zu verstehen, es gibt Sachen, die entziehen sich jeder Vernunft, jeder rationalen Analyse und Erklärung. Ich hab mit der Biografie von Mutter Teresa angefangen, komm aber nicht richtig rein. Für die ist mir meine Zeit zu schade; sie wirkt mir n bisschen gaga. Sie behauptet, Gott sagt ihr, sie soll machen, was sie macht; sie selber hat da nen Scheiß mit zu tun. Genau das Argument bringt Sutcliffe auch. Ist doch alles blanker Schwachsinn; n bisschen mehr persönliche Verantwortung kann man vom Einzelnen ja wohl erwarten.
    Der Park ist deprimierend. Ist wie im Gefängnis. Nein, ist es nicht. Man kann abhauen, in den warmen, einladenden Pub gehen, aber wenn einen dabei die Mobile erwischt, kann man sich die Papiere holen. In dem Park gibt’s Anwesenheitsgeld; man wird bezahlt, um hierzusein. Nichts zu tun, aber zu sein. Ich sitz in meinem Anbau, also penn ich.
    Es klopft an der Tür. Die Streife kann’s nicht sein, die klopfen nie. Ich mache auf, und da steht Raymie Airlie. Er hat ein fieses Grinsen aufgelegt und sieht mich
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