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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel
Autoren: Andrea Schacht
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schützend die Hand über sie, und der im Text zitierte Verweis an den Inquisitor ist aktenkundig.
    Natürlich sind alle handelnden Personen frei erfunden, und ich hoffe, nicht allzu heftig auf die Zehen derjenigen getreten zu haben, die noch heute die Namen der alten Geschlechter tragen, indem ich ihnen einige eigenwillige Vorfahren andichtete.
    Friedrich III. von Saarwerden jedoch hat wirklich gelebt. Sie finden ihn lebensgroß im Kölner Dom, gleich rechts beim Eingang. Er hatte in jungen Jahren seine Schwierigkeiten mit der Stadt Köln, doch letztlich regierte er vierundvierzig Jahre lang in stiller Resignation. Und selbstverständlich gab es auch den Dombaumeister Michael.

Im Heiligen Köln des Jahres 1376 der Menschwerdung des Herrn

1. Kapitel
    Die Aprilnacht war ungewöhnlich kühl, und feuchter Dunst zog vom Fluss herauf durch die Gassen. Der Mann trug einen langen, schwarzen Umhang, dessen Kapuze sein Gesicht völlig überschattete. Er ging mit eiligen Schritten, doch bemühte er sich, keinerlei Geräusch zu verursachen, um nicht etwa einen rechtschaffenen Bürger aus seinem wohlverdienten Schlaf zu reißen. Auch auf eine Laterne hatte er verzichtet, und dann und wann musste er innehalten, um in den finsteren Gassen seinen Weg zu finden. Endlich erreichte er das Haus, welches das Ziel seines nächtlichen Ausflugs war. Die Wolke, die bisher den Mond verhüllt hatte, war weitergezogen, und das kalte Licht, das nun die graue, steinerne Hauswand erhellte, erleichterte es dem Vermummten, mit dem Schlüssel das Tor zum Hof zu öffnen. Nur ein leises Knarren verriet sein Eindringen. Vorsichtig lehnte er das Tor wieder an, verschloss es aber nicht.
    In dem Geviert war es kalt, denn die hohen Mauern legten auch am Tag dunkle Schatten über die Eingänge der Gewölbekeller. Ein Frachtkarren stand an der Wand, Fässer stapelten sich daneben, bereit für die Auslieferung an wohlhabende Kunden. Der Ast eines blühenden Apfelbaums hatte es gewagt, sich vom Nachbargrundstück über die Mauer in den Hof des nüchternen Handelshauses zu neigen, doch konnte selbst sein süßer Duft nicht den säuerlichen Geruch übertrumpfen, mit dem der verschüttete Wein seit Jahrzehnten den Boden des Hofes tränkte. Über diesen Ast balancierte, vorsichtig Pfote vor Pfote setzend, ein schwarzer Kater und sah sich prüfend um. Obwohl seine Sehkraft in der Nacht um vieles besser war als die der Menschen, konnte er den Mann im Umhang kaum ausmachen. Dieser verschwand beinahe in einer der dunklen Mauernischen, nur hin und wieder hörte der Kater seinen aufgeregten Atem.
    Die Zeit verstrich, weitere Wolkenschiffe zogen vor den Mond und verschluckten sein Licht, ließen dann aber wieder zu, dass es sich silbern über die Stadt und den Strom ergoss. Die Nacht erschien dem Wartenden nervenzerreißend still.
    Endlich knarrte kaum hörbar die Tür, und eine weitere Gestalt schlüpfte lautlos in den Hof. Auch diese trug einen dunklen Umhang, der ein kurzes, gepolstertes Wams und eng anliegende Beinkleider verhüllte. Die Schuhe des Mannes waren aus weichem Leder gefertigt, die langen Spitzen hatte er hochgebunden, um ungehindert laufen zu können. Suchend blickte er sich um, lauschte und ging dann zielstrebig auf den Winkel zu, in dem sich der andere Mann verbarg. Dieser löste sich aus dem Schatten und trat dem Ankömmling entgegen. Flüsternd unterhielten sich die beiden eine Weile, doch besonders freundschaftlich schien das Gespräch nicht zu verlaufen. Der Vermummte gestikulierte mehrfach in heftiger Abwehr, so dass sein Umhang wie Rabenschwingen flatterte. Doch nach und nach erstarb sein Protest, wie Halt suchend lehnte er sich an die Wand und hob nur noch einmal die Hand, als wolle er den anderen beschwichtigen. Schließlich aber zog er resigniert die breiten Schultern hoch und ließ den Kopf hängen. Der andere lachte leise und flüsterte vernehmlich: »Wenn du mir also diesen kleinen Gefallen tust, wird dir und deinem Herrn nichts geschehen! Und der Erzbischof wird’s dir danken.« Dann war er verschwunden, und das Tor fiel hinter ihm ins Schloss.
    Der schwarze Kater, der unbeweglich unter dem Ast gesessen hatte, reckte sich und zuckte dann plötzlich zusammen, denn der Mann an der Wand strich mit einer jähen Bewegung die Kapuze vom Kopf, als ob sie ihn unerträglich drückte. Sein junges Gesicht war fahl wie das Mondlicht, und mit vor Entsetzen starrem Blick murmelte er unablässig: »Nom de Dieu, nom de Dieu, nom de Dieu…«

2.
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