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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel
Autoren: Andrea Schacht
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stammelte etwas von Wasser.
    »›Denn wer so isst und trinkt, dass er den Herrn nicht achtet, der isst und trinkt sich selber zum Gericht!‹«, bemerkte Almut salbungsvoll. Und fügte dann mit nüchterner Stimme hinzu: »Hat Paulus auch gesagt.«
    Schadenfrohes Kichern erfüllte die Kirche, doch endlich hatten zwei barmherzige Mitbrüder begriffen, dass der dicke Notker wahrhaftig in Nöten war. Sie halfen ihm auf und führten ihn in die Sakristei. Die Gemeinde begann sich zögerlich aufzulösen. Dieser Gottesdienst bot zumindest für die nächsten Tage ein wunderbares Gesprächsthema.
    Die Beginen sammelten sich zu einer geschlossenen Gruppe und verließen gesetzten Schrittes die Kirche. Auf den Stufen warteten die Bettler und Krüppel auf Almosen, und als sie ihre Spenden getan hatten, fragte Almut in die Runde: »Ich muss für Elsa eine Besorgung machen. Wer kann mich begleiten?«
    »Ich gewiss nicht, ich habe genug in der Küche zu tun.«
    Mürrisch drehte sich Gertrud um.
    »Ich würde ja gerne mitgehen, Almut, aber du weißt ja: mein Fuß!«
    »Der schmerzt dich bei jedem Weg, den du nicht für dich selbst unternimmst, Clara.«
    Bittend sah Almut sich in der kleinen Gruppe um, aber ein freiwilliges Nicken fand sich bei keiner der Frauen. Das Essen wartete. Schließlich seufzte sie: »Trine geht mit mir.«
    Sie machte dem schmächtigen Mädchen, das sich unauffällig im Hintergrund gehalten hatte, ein Zeichen. Mit einem Lächeln trat es vor, und Almut nickte ihm freundlich zu. Gewiss, die Kleine war kein Schutz gegen unsittliche Übergriffe, und ganz den Regeln des Konvents entsprach die Lösung auch nicht. Die schrieben nämlich vor, dass junge Beginen sich immer nur in Begleitung einer älteren in der Öffentlichkeit bewegen durften. Und Almut war in der Tat noch jung, obwohl sie selbst das nicht mehr glaubte.
    »Komm, dann wollen wir uns sputen, Trine, damit wir rechtzeitig zur Non zurück sind.«
    Während sie sprach, machte sie kleine ausdrucksvolle Gesten mit den Händen, und Trine verfolgte diese und auch Almuts Lippenbewegungen aufmerksam. Denn Trine war taubstumm.
    Almut und das Mädchen trennten sich von den anderen Beginen und verließen St. Brigiden in entgegengesetzter Richtung. Almut wusste, wo sich das Haus des Weinhändlers de Lipa befand, denn in diesem Teil der Stadt war sie aufgewachsen: Ihr Elternhaus stand ebenfalls oberhalb des Mühlenbachs. Weit war der Weg nicht, den sie zu gehen hatten, aber die ungepflasterten Straßen waren noch schlammig vom letzten Regen und aufgewühlt von den Fuhrwerken und Karren, die die Waren von den Schiffen im Hafen zu den Lagern der Kaufleute oder zu den Märkten brachten. Erst vor zwei Tagen hatte die Sonne den Regen abgelöst, und so mühten sie sich, voranzukommen und nicht ständig in schlammige Karrenspuren zu treten, wichen den in Pfützen wühlenden Schweinen aus und versuchten, nicht auf glitschigen Abfällen auszurutschen. Belästigungen waren sie jedoch nicht ausgesetzt. Derlei kam manchmal vor, denn die Beginen – als unverheiratete, geschäftstüchtige Frauen bekannt – hatten sich einige Neider geschaffen, unter den Seidwebern sogar Feinde. Und ganz übel Wollende unterstellten den nach ihren eigenen Regeln lebenden und keinen Ordensregeln gehorchenden Schwestern gewisse Freizügigkeiten, die sie nur zu gerne in Spottliedern äußerten. Doch die Straßen waren menschenleer, die Gassenjungen mochten wohl den sonnigen Tag in den kühlen Fluten des Rheins verbringen, vielleicht auch die scharfzüngigen Scholaren und die übermütigen Gecken. Die geschäftigen Handwerker und Händler ließen des Sonntags ihre Arbeiten ruhen, die Bettler und Armen hatten sich an den Kirchen versammelt, um Almosen zu erbitten, und die vornehmen Bürger pflegten in ihren Häusern die Sonntagsruhe.
    Unbehelligt erreichten die beiden Frauen ihr Ziel. Den Mühlenbach bewohnten die Wohlhabenderen. Es gab nur vereinzelt Fachwerkhäuser; aus grauen Steinen gemauerte Gebäude bestimmten das Bild. Weit geöffnete hölzerne Läden an den Fenstern ließen das Sonnenlicht ein, und vereinzelt konnte man den Duft von fettem Braten riechen. Irgendwo schien sogar ein Fest gefeiert zu werden, denn leise mischten sich die perlenden Töne einer kunstfertig gespielten Laute in das Gurren der Tauben, die auf den Dächern saßen.
    Almut und Trine standen nun vor dem herrschaftlichen Haus der de Lipas. Drei Stockwerke hoch war es, massiv aus Stein gebaut, und hatte sogar die ganz
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