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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
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richtig hinkriegen würde, wenn er nur endlich rausbekommen würde, was er eigentlich falsch machte. ›Was mache ich denn bloß falsch?‹ fragte er die Pfleger immer wieder. Und es gab keinen Weg, es ihm begreiflich zu machen. Ich meine, sie haben’s ihm erklärt – verdammt noch mal, sie haben’s ihm erklärt –, aber er konnte es trotzdem immer noch nicht auf die Reihe kriegen.«
    »Ich hab’ gelesen, daß die Wahrnehmungszentren im
    Gehirn meist zuerst den Bach runtergehen«, sagte Donna gelassen. »Wenn sich zum Beispiel einer ‘nen miesen Schuß gesetzt hat. ‘ne zu große Dosis oder so.« Sie musterte den Wagen, der direkt vor ihnen fuhr. »Sieh mal, da ist einer von diesen neuen Porsches mit den zwei Motoren.« Sie zeigte aufgeregt nach vorn. »Wow!«
    »Ich kannte mal einen Typ, der sich einen dieser neu-en Porsches frisiert hatte«, sagte Charles Freck, »und dann damit auf den Riverside Freeway rausfuhr und ihn auf 280 hochjagte – Filmriß.« Er gestikulierte wild mit den Händen. »Geradewegs in den Arsch von einem Sattelschlepper. Hat ihn gar nicht gesehen, nehme ich an.«
    In seinem Kopf ließ er eine Phantasienummer abspulen: er, Charles Freck, hinter dem Steuer eines Porsche, aber er bemerkte den Sattelschlepper rechtzeitig – alle Sattelschlepper. Und jedermann auf dem Freeway – dem Hol-
    lywood Freeway zur Hauptverkehrszeit – bemerkte ihn, Charles Freck. Schließlich konnte man diesen schlaksi-gen, breitschultrigen, gutaussehenden Macker, der da mit 320 Stundenkilometern über den Freeway brauste, auch gar nicht übersehen. Und den Bullen hing der Unterkiefer bis runter auf die Schuhe.
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    »Du zitterst ja«, sagte Donna. Sie beugte sich zu ihm herüber und legte ihre Hand auf seinen Arm. Eine ruhige Hand, auf die er sofort ansprach. »Langsamer.«
    »Ich bin müde«, sagte er. »Ich war zwei Tage und
    zwei Nächte auf den Beinen und habe Wanzen gezählt.
    Hab’ Wanzen gezählt und sie in Flaschen getan, bis ich vor Müdigkeit aus den Latschen gekippt bin. Und als wir dann am nächsten Morgen aufgestanden sind und uns
    fertiggemacht haben, um die Flaschen in den Wagen zu laden und sie zum Doktor zu bringen, weil wir ihm die Wanzen zeigen wollten, da war nichts in den Flaschen drin. Leer.« Er konnte das Zittern jetzt selber spüren, konnte es in seinen Händen spüren, die auf dem Lenkrad ruhten, konnte die zitternden Hände auf dem Lenkrad sehen, bei dreißig Stundenkilometern. »Alle«, sagte er.
    »Die ganzen Scheiß-Flaschen. Nichts drin. Keine Wanzen. Und dann hab’ ich’s endlich begriffen. Scheiße noch mal, ich hab’ begriffen, was mit seinem Gehirn los war.
    Mit Jerrys Gehirn.«
    Die Luft roch nicht mehr länger nach Frühling, und
    übergangslos begriff Charles Freck, daß er dringend einen neuen Hit Substanz T brauchte, weil es vielleicht schon später am Tag war, als er bisher bemerkt hatte.
    Oder war die letzte Dosis, die er eingepfiffen hatte, geringer gewesen, als er dachte? Nun, zum Glück hatte er immer einen Notvorrat dabei, ganz hinten im Handschuhfach. Er spähte aus dem Fenster und hielt Ausschau nach einer freien Parkbucht, wo er anhalten konnte.
    »Manchmal macht einem das Gehirn was vor«, sagte
    Donna wie aus großer Entfernung; sie schien sich in sich 33
    selbst zurückgezogen zu haben, schien sehr weit weggegangen zu sein. Charles Freck fragte sich, ob ihr seine ziellose Fahrerei wohl auf die Nerven ging. Vielleicht lag es daran.
    Ein weiterer Phantasie-Film spulte sich plötzlich in seinem Kopf ab, ganz ohne seine Zustimmung: Zuerst
    sah er einen großen Pontiac, aufgebockt auf einem plötzlich kippelnden Wagenheber, und ein Jüngelchen von
    vielleicht dreizehn Jahren mit langen, strohigen Haaren, das sich verzweifelt gegen den wegrollenden Wagen zu stemmen versuchte und dabei zugleich gellend um Hilfe schrie. Er sah sich selbst zusammen mit Jerry Fabin aus dem Haus – Jerrys Haus – stürzen und die mit Bierdosen übersäte Auffahrt hinunterstürmen. Er, Charles Freck, griff nach der Wagentür auf der Fahrerseite, um sie auf-zuwuchten, damit er das Bremspedal treten konnte. Aber Jerry Fabin, der nur eine Hose trug und nicht einmal Schuhe anhatte – er hatte gerade geschlafen, und sein Haar war wirr und zerwühlt –, dieser Jerry Fabin also rannte am Wagen entlang zum Fahrzeugheck und drängte den Jungen mit seiner bloßen, bleichen Schulter, die nie das Licht des Tages sah, in letzter Sekunde vom Wagen weg. Der Wagenheber rutschte endgültig ab
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