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Der Duft des Blutes

Titel: Der Duft des Blutes
Autoren: Ulrike Schweikert
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blähten sich. Fünf oder sechs Tage war er sicher schon tot, und so lange hatte der Körper auch im Elbwasser gelegen. Zwei Fahrzeuge näherten sich der Absperrung.
    „Endlich!", murmelte ein Uniformierter in seiner Nähe. „Die Kripo ist da!"
    Vier Männer und eine Frau schlüpften unter dem Band hindurch und traten zu dem Polizeikommissar, der den Einsatz bisher geleitet hatte. In kurzen Worten schilderte er den Vorfall und deutete dann auf den Schiffer in blauen Latzhosen, der rauchend an der roten Backsteinmauer des Speicherhauses lehnte.
    „Er hat die Leiche entdeckt und uns um", er sah in sein Notizbuch, „zwanzig Uhr neunzehn über den Notruf verständigt."
    Hauptkommissar Thomas Ohlendorf, Chef der 4. Mordbereitschaft der LKA-Direktion 41, nickte. Schweigend sah er einige Augenblicke auf die Leiche hinab, die noch immer mit dem Gesicht nach unten im kalten Wasser schaukelte.
    „Sabine, Sönke, fahrt ihr mal mit den Wasserschutzleuten mit und nehmt unseren Klienten in Augenschein."
    Oberkommissarin Sabine Berner strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Willst du die Spurensicherung hier haben?"
    Thomas Ohlendorf wickelte einen Kaugummi aus und schob ihn zwischen die Zähne. „Was willst du hier noch sichern? Wer weiß, von wo der angedümpelt gekommen ist."
    Die junge Frau zuckte die Schultern und wandte sich zum Gehen.
    „Und schaff mir den Magnus her. Er soll von hier ein paar Bilder machen und dann mit euch aufs Boot gehen. Ihr könnt die Leiche dort vorne an der Treppe raufschaffen, damit unser Herr Doktor was zu tun bekommt."
    Die Kommissarin nickte. Wo war der Fotograf? Irgendwo hatte Sabine die schlaksige Gestalt von Björn Magnus doch schon gesehen. Ihr Blick schweifte über die Menschen, die sich am Pickhuben versammelt hatten, als sie plötzlich mit jemandem zusammenprallte.
    „Oh, Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht gesehen", sagte sie und sah den großen, schwarzhaarigen Mann, der so unerwartet in ihrem Weg stand, verwirrt an. Sie kannte ihn nicht, doch nach einem abschätzenden Blick war sich die Kommissarin sicher, dass er hier nichts zu suchen hatte.
    „Bitte gehen Sie hinter die Absperrung zurück", sagte sie, und ihr Tonfall war nicht mehr ganz so freundlich. „Sie behindern die Arbeit der Polizei."
    Doch statt ihrer Anweisung zu folgen, trat der Mann noch ein wenig näher. Er reckte den Kopf nach vorn und schloss die Augen. Sein Brustkorb spannte sich, als er tief die Luft einsog. Ein verzücktes Lächeln huschte über die bleichen Lippen.
    Peter von Borgo war verwirrt. In den letzten dreihundertfünfzig Jahren war es ihm niemals passiert, dass er so unerwartet mit einem Menschen zusammengestoßen war. Was war es, das seine sonst so wachsamen Sinne trübte und seine vorsichtige Zurückhaltung mühelos durchdrang? Langsam, fast widerstrebend entwich die eingeatmete Luft aus seinen Lungen. Es war ihr Geruch, ihr wundervoller Duft, der ihn plötzlich um so viele Jahre zurückversetzte.
    Wien 1649. Ein prächtiger Ball. Glitzernde Lüster spendeten Kerzenglanz, Paare schwebten über den Marmorboden: Herren in seidenen Kniehosen und Damen in ausladenden Röcken. Die Schwüle der späten Sommernacht drang durch die weit geöffneten Flügeltüren. Der junge Vampir, ganz in Schwarz und Silber, das schwarze Haar mit einer einfachen Silberspange im Nacken zusammengebunden, saß draußen auf der steinernen Balustrade, als sie aus dem Ballsaal trat, erhitzt vom Tanz und beschwingt vom Champagner. Peter von Borgo sah noch ihre gepuderten Locken, kunstvoll aufgesteckt, eine weiße Rose keck über dem Ohr befestigt, das süße Gesicht mit den tiefblauen Augen, der rot geschminkte Schmollmund. Sie trug ein Kleid aus glänzend weißem Atlas, mit silberner Klöppelspitze besetzt, über einem ovalen Reifrock. Mit ihrem Fächer aus bemalter Schwanenhaut suchte sie die erhitzten Schläfen zu kühlen. Innerhalb weniger Augenblicke war er von diesem Geschöpf bezaubert. Wer könnte je solch einem Duft widerstehen? Ein aufreizendes Lächeln auf den Lippen, nahm Antonia die Einladung des fremden Kavaliers an, zwischen den hohen Hecken zu den Springbrunnen zu spazieren. Mit einer galanten Verbeugung bot der Vampir ihr den Arm und führte sie die weit geschwungene Treppe hinunter. Er ahnte das junge, pulsierende Blut unter ihrer warmen Haut, und dieser Geruch, dieser unglaublich verführerische Duft, raubte ihm den Verstand. Noch hatte er nicht gelernt sich zu zügeln. War es doch
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