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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel
Autoren: Upton Sinclair
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wie ein gehetztes Wild abseits in einer Ecke und mußte sich jedesmal erst mit der Zunge die Lippen befeuchten, ehe er seinen Freunden für ihre Gratulationen danken konnte.
    Allmählich ergab sich eine Trennung zwischen Gaffern und Gästen, jedenfalls so weit, daß die Feier ihren Verlauf nehmen konnte. Solange diese dann anhielt, gab es jedoch keine Minute, da in den Türen und Ecken nicht Gruppen von Zuschauern standen, und kam einer davon nahe genug heran oder machte den Eindruck, daß ihm etwas zu essen nottue, bot man ihm einen Stuhl an und lud ihn zum Mithalten ein. Es gehörte zu den Gesetzen der »Veselija«, daß niemand hungrig bleiben dürfe, und wenn eine solche in den Wäldern Litauens entstandene Regel im Schlachthofviertel von Chicago mit seiner Viertelmillion Einwohner auch schwer einzuhalten ist, so tat man doch, was in den Kräften stand, und die von der Straße hereingekommenen Kinder, ja selbst die Hunde, alle liefen sie satter und glücklicher wieder hinaus. Überhaupt herrschte eine bezaubernde Ungezwungenheit. Die Männer behielten die Hüte auf, und jene, die sie doch absetzten, legten die Jacketts gleich mit ab; man aß, wann und wo es einem beliebte, und wechselte den Platz, so oft man Lust dazu hatte. Es würden Tischreden gehalten und Lieder vorgetragen werden, aber keiner war verpflichtet hinzuhören, wenn er nicht mochte; wer unterdessen selber etwas sagen oder singen wollte, dem stand das völlig frei. Das sich daraus ergebende lautliche Durcheinander störte niemanden, außer vielleicht die Säuglinge, wovon so viele da waren, wie die geladenen Gäste insgesamt hatten. Man wußte nicht, wo man sie hätte lassen sollen, und ein Teil der Vorbereitungen für den Abend hatte darin bestanden, in der einen Saalecke eine Anzahl Wiegen und Kinderwagen aufzustellen. Darin lagen die Babies, immer drei oder vier zusammen und je nachdem alle schlafend oder alle wach. Die etwas größeren Sprößlinge, die schon auf die Tische langen konnten, liefen umher und knabberten genüßlich an Fleischknochen und Bolognawürsten.
     
    Der Saal mißt etwa zehn Meter im Quadrat, und seine weißgetünchten Wände sind kahl bis auf einen Kalender, ein Bild von einem Rennpferd und einen goldgerahmten Familienstammbaum. In der Ecke rechts von der aus der Kneipe hereinführenden Tür, in der ein paar Zaungäste lehnen, ist eine Theke, der ein Hausgeist in nicht mehr ganz sauberem Weiß und mit gewichstem schwarzen Schnurrbart sowie sorgfältig pomadisierter Schmachtlocke vorsteht. Gegenüber hat man zwei große Tische aufgestellt, die ein Drittel des Raums einnehmen und beladen sind mit Geschirr und mit kalten Speisen, von denen einige besonders hungrige Gäste schon hörbar schmausen. An der Stirnseite, vorm Platz der Braut, ragt ein wahrer Eiffelturm von Hochzeitstorte auf, schneeweiß, mit oben drauf Rosen und zwei Engeln, außerdem über und über mit Zuckerwerk in Gelb, Grün und Rosa verziert. Hinter der Tafel öffnet sich eine Tür zur Küche, wo man einen Blick erhaschen kann auf einen Herd, von dem Dampfwolken aufsteigen, und auf viele Frauen, alte und junge, die hin- und herhuschen. Die Ecke zur Linken wird eingenommen von den drei Musikanten, die sich auf einem kleinen Podium wacker mühen, gegen das Getöse anzudringen, von den ähnlich beschäftigten Babies und von einem offenen Fenster, durch welches das Volk draußen mit Augen, Ohren und Nasen mitfeiert.
    Plötzlich schieben sich von dem Wrasen der Küche Schwaden heran, und wenn man durch sie hindurchschaut, erkennt man Teta beziehungsweise Tante Elzbieta, Onas Stiefmutter, die eine große Platte mit geschmorter Ente hereinträgt. Hinter ihr kommt die kleine Kotrina, sich vorsichtig den Weg bahnend, denn sie wankt unter einer gleichen Last, und eine halbe Minute später erscheint Großmutter Majauszkiene mit einer riesigen gelben Schüssel, fast so füllig wie sie selbst, voller dampfender Kartoffeln. So gewinnt das Hochzeitsmahl Stück für Stück Gestalt: Es gibt einen Schinken, Sauerkraut, Reis, Makkaroni, Bolognawürste, ganze Berge von Kranzbrötchen, Krüge Milch und Humpen schäumendes Bier. Und außerdem ist ja noch die Theke da, keine zwei Schritte hinter einem, wo man alles bestellen kann, was man will, ohne bezahlen zu müssen. »Eiksz! Greicziau!« ruft Marija Berczynskas lautstark und langt selber zu – draußen auf dem Herd sei noch mehr, und das verderbe nur, wenn es nicht gegessen wird.
    Unter Rufen und Lachen, Scherzworte und
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