Der Drachenwald

verguckt hatte. Aber er hatte sich nicht verguckt.
    »Robert?«, donnerte er. »Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Aus dem Weg, sag ich!«
    Und wisst ihr, was Robert sagte? Robert sagte Nein. Aber nicht ruhig und fest wie ein erfahrener Rittersmann, sondern so wie Robert. Und |142| wenn Robert mal richtig Nein sagt, dann schreit er. Robert kann »Nein!« schreien, ich schwör’s, so was habt ihr noch nie gehört. »Nein!« war das Erste, was er überhaupt sagen konnte, als er noch ganz klein war, und seine Mutter erzählt immer, schon damals hätten sie Angst gehabt, dass ihnen |143| die Scheiben zerspringen. Und jetzt ist er ja größer. Ich sah, wie er tief Luft holte, und dann schrie er:

    |143| »NEIIIIIIIIIIIIN!«
    Es war so unheimlich laut, dass es von der anderen Talseite, wo die Raubritterburg Wolfeck auf ihrem schwarzen Felsen stand, als Echo zurückkam:
    »NEIIIIIIIIIIIIN!«
    Mir fielen fast die Ohren ab, und allen anderen bestimmt auch. Aber am schlimmsten musste es für das Pferd sein, mit dem Robert Nase an Nase stand. Darum bäumte es sich wahrscheinlich auch auf und schmiss den Ritter Kraft ab. Und als die anderen beiden Pferde das sahen, bäumten sie sich auch auf und schmissen ihre Reiter ab.
    Da lagen sie nun im Staub, die drei schrecklichen Raubritter, und man konnte sehen, wie unpraktisch Ritterrüstungen waren, wenn man mal hinfiel: Der rappeldürre Ritter Kraft mit seiner Halskrause war schnell wieder auf den Beinen, aber die beiden anderen mit ganzen Rüstungen lagen auf dem Rücken wie zwei große silberne Käfer und zappelten erst eine Weile, bis sie auf den Bauch und von da wieder auf die Füße kamen.
    Ein bisschen wackelig waren sie aber alle drei, als sie sich wieder aufgerappelt hatten, und ihre |144| Pferde waren weg. Die galoppierten mit Karacho runter ins Tal.
    Das Nächste, was ich sah, war, dass der rappeldürre Ritter wieder losdonnern wollte, aber da hob Robert wieder die Hand, und es war komisch: So wie vorhin der Torwächter, parierte jetzt auch der schreckliche Ritter Kraft. Und dann hörte man Robert mit seiner ruhigen, festen Rittersmannstimme sagen:
    »Ich weiß, was Ihr sagen wollt, alter Kotzbrocken Kraft, aber ich will es nicht hören, und noch dazu ist es Kappes.«
    Ich sah, wie dem rappeldürren Ritter der Mund zuklappte, und fand, so wie er jetzt die Augen aus dem Kopf schraubte, sah er nicht mehr schrecklich, sondern nur noch unglaublich dämlich aus.
    »Ihr versteht nicht?«, fragte Robert. »Dann will ich’s Euch erklären: Ein Kotzbrocken ist ein fieser, unangenehmer Kerl, mit dem niemand was zu tun haben will, und Kappes heißt so viel wie Quatsch, ein Schmarren, Unsinn, Kokolores.«
    Der rappeldürre Ritter öffnete wieder den Mund, aber mehr wie ein Fisch an der Aquariumscheibe, nicht wie ein Mensch, der vielleicht was sagen will.
    »Ihr wollt sagen, dass ihr auf Wolfeck die Prinzessin |145| habt, alter Rumpelsack, aber die habt ihr nicht.   – Prinzessin Wilma«, rief Robert jetzt über die Schulter, »kommst du bitte mal!«
    Da trat sie aus dem Tor, und der rappeldürre Ritter Kraft war vielleicht gerade nicht in Bestform, aber so viel sah er doch, dass das wunderschöne Wesen auf der Zugbrücke nur eine Prinzessin sein konnte. Wahrscheinlich verglich er sie im Stillen auch mit der, die sie geraubt hatten, keine Ahnung. Jedenfalls sah man, dass ihm etwas dämmerte.
    »Und wer   …?«
    »Meine Zofe Sieglinde«, sagte die Prinzessin mit ihrer samtweichen Stimme. »Sie probiert so gern meine Kleider an.«
    Und jetzt kam der Moment, wo ich was über echte Raubritter lernte, nämlich dass sie so schnell nicht kleinzukriegen sind. Gerade hatte der rappeldürre Ritter noch wie der letzte Loser 1 ausgesehen , und jetzt plötzlich war so ein hinterhältiges Blitzen in seinen Augen.
    »Und die wollt Ihr nicht wiederhaben, schöne Prinzessin?«, fragte er lauernd.
    |146| Aber da hatte er die Rechnung ohne Robert gemacht.
    »Doch, das will sie, alter Gauner, aber schmink dir das Lösegeld schön ab, ihr zahlt nämlich im Gegenteil noch was drauf!   – Tim, alter Freund«, rief er über die Schulter, »kommst du mal mit den fünf Knallfröschen auf die Brücke!«
    Ich brauchte nicht mal was zu sagen, die Wilden Wölfe wussten auch so, wer gemeint war, und gingen von ganz allein.
    Auweia, den fünf kleinen Raubrittern ging es gar nicht gut. Erst das, was ihnen im Drachenwald passiert war, und jetzt das, was sie erwartete, wenn sie nach Hause kamen.