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Der Dolchstoss

Der Dolchstoss

Titel: Der Dolchstoss
Autoren: Robert Jordan
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Birgitte zu sprechen - Birgitte! Er bezweifelte, daß er diesen Schock jemals überwinden würde -, aber andererseits bezweifelte er auch, daß er den Lärm im Schankraum hören würde, weil die Würfel in seinem Kopf so laut klapperten. Sie mußte irgendwie ein Schlüssel dazu sein. Ein Mann mit einem Rest Verstand würde jetzt sofort aus dem Fenster klettern. »Ein oder zwei Becher Wein hört sich auch für mich gut an«, antwortete er.
    Eine steife, salzige Brise von der Bucht trug wundersamerweise einen Hauch Kühle heran, aber Nynaeve empfand die Nacht dennoch als bedrückend. Musik und bruchstückhaftes Lachen schwebten von der Stadt und auch schwach vom Festsaal im Palast heran. Sie war von Tylin selbst zum Ball eingeladen worden, und Elayne und Aviendha ebenfalls, aber sie hatten alle, unterschiedlich höflich, abgelehnt. Aviendha hatte gesagt, es gäbe nur einen Tanz, den sie mit Feuchtländer-Männern zu tanzen bereit wäre, was Tylin verunsichert hatte. Nynaeve selbst wäre gern hingegangen - nur ein Narr verpaßte eine Gelegenheit zu tanzen -, aber sie wußte, daß sie dann genau das getan hätte, was sie auch jetzt tat, nämlich irgendwo sitzen, sich sorgen und versuchen, sich nicht die Fingerknöchel zu zerbeißen.
    Also befanden sie sich alle hier, mit Thom und Juilin in ihren Räumen eingepfercht, unruhig wie eingesperrte Katzen, während sich alle anderen in Ebou Dar amüsierten. Nun, sie war zumindest unruhig. Was könnte Birgitte aufgehalten haben? Wie lange dauerte es, einem Mann aufzutragen, sich sofort am nächsten Morgen einzufinden? Licht, die ganze Mühe war vergebens gewesen, und die Zeit zum Schlafengehen war schon längst vorüber. Wenn sie Schlaf fände, könnte sie die Erinnerungen an die schrecklichen Bootsfahrten von heute morgen verbarmen. Und am schlimmsten war, daß ihr Wettersinn sagte, daß ein Sturm aufkam, daß der Wind heulen und der Regen so dicht herabprasseln würde, daß niemand mehr zehn Fuß weit sehen könnte. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie verstand, wenn sie dem Wind lauschte und manchmal anscheinend Lügen hörte. Zumindest glaubte sie zu verstehen. Eine andere Art Sturm kam auf, nicht Wind oder Regen, Sie hatte keinen Beweis, aber sie würde ihre Schuhsohlen verspeisen, wenn Mat Cauthon nicht irgendwie darin verwickelt war. Sie wollte einen Monat ein Jahr lang schlafen, um die Sorgen zu vergessen, bis Lan sie mit einem Kuß weckte wie der Sonnenkönig Talia. Was natürlich lächerlich war. Es war nur eine Geschichte, noch dazu eine sehr ungehörige, und sie würde ohnehin nicht der Liebling irgendeines Mannes werden, nicht einmal Lans. Sie würde ihn jedoch irgendwie finden und sich mit ihm verbinden. Sie würde... Licht! Wenn sie sich nicht von den anderen beobachtet gefühlt hätte, wäre sie zutiefst beunruhigt auf und ab gelaufen!
    Die Zeit schritt voran. Sie las den kurzen Brief, den Mat bei Tylin hinterlegt hatte, und las ihn abermals. Aviendha saß ruhig neben ihrem Stuhl mit der hohen Lehne auf den hellgrünen Bodenfliesen, wie üblich im Schneidersitz, eine goldverzierte, ledergebundene Ausgabe von Die Reisen des Jain Fernschreiter auf den Knien. Sie zeigte keine Angst, aber die Frau hätte auch mit keiner Wimper gezuckt, wenn ihr jemand eine Viper in ihr Gewand gesteckt hätte. Als sie zum Palast zurückgekehrt war, hatte sie die silberne Halskette angelegt, die sie jetzt fast Tag und Nacht trug. Außer auf der Bootsfahrt. Sie hatte gesagt, sie wollte sie nicht verlieren. Nynaeve fragte sich träge, warum sie ihr Elfenbein-Armband nicht mehr trug. Sie hatte eine Unterhaltung belauscht, in der darüber gesprochen worden war, es nicht mehr zu tragen, bis Elayne ein ähnliches Armband besäße, was wenig Sinn ergab. Dies war jedoch genauso unwichtig wie das Armband selbst. Der Brief auf ihrem Schoß erregte erneut ihre Aufmerksamkeit. Die Stehlampen in dem Wohnraum gaben helles Licht, doch Mats jungenhafte Handschrift war nur schwer lesbar. Aber es war der Inhalt des Briefes, bei dem sich Nynaeves Magen verkrampfte.
    Hier gibt es nur Hitze und Fliegen, und davon können wir auch viele in Caemlyn finden.
    »Bist du sicher, daß du ihm nichts erzahlt hast?« fragte sie.
    Juilin hielt in seiner Handbewegung über dem Spielbrett inne und sah sie mit verletzter Unschuld an. »Wie oft soll ich dir das noch sagen?« Verletzte Unschuld war eine der Empfindungen, die Männer am besten zeigen konnten, besonders wenn sie so schuldig waren wie Füchse im
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