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Der dicke Löwe kommt zuletzt

Der dicke Löwe kommt zuletzt

Titel: Der dicke Löwe kommt zuletzt
Autoren: Max Kruse
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für ihn, im gleichen Rhythmus mit ihr zu laufen. Ihre Rücken hoben und senkten sich gleichmäßig, so, als ob sie nicht zwei Tiere wären, sondern nur eines. Und immer freute er sich an ihrem starken, federnden Gang, an ihrem schlanken Körper.
    So streiften sie auch manchmal bis hinunter an die Küste, wo sie ihn aufgefunden hatte. Und stets schaute er nachdenklich aufs Meer. Aber er sagte niemals etwas, sein Benehmen änderte sich nicht, und langsam verlor sie die Furcht vor dem Zurückkehren seiner Erinnerung.
    Dagegen ging mit ihr eine Wandlung vor. Zunächst spürte sie es selbst kaum. Später jedoch fiel es sogar ihm auf, daß sie nicht mehr so leichtfüßig neben ihm herlief, daß sie sich öfter niedersetzte, um sich auszuruhen. Die Strecken, die sie mit ihm zurücklegte, wurden kürzer. Dann kam es vor, daß sie keine Lust hatte, ihn zu begleiten. Sie blieb faul im Busch liegen und wartete auf seine Rückkehr.
    Auch ihre Figur wurde weicher und runder.
    So ist es nun einmal, dachte Löwe. Aber er machte sich weiter keine Gedanken. Zunehmend war er allein unterwegs. Und immer wieder zog es ihn in die kleine Bucht. Denn je öfter er herkam, desto deutlicher spürte er, daß sich das Dunkel seiner Gedanken lichtete und ordnete. Er sah die Wellen, er sah Wolken — er sah fliegende Möwen...
    ... und auf einmal erinnerte er sich. Schlag auf Schlag und Blitz auf Blitz kehrten die Bilder der Vergangenheit wieder. Eines zog das andere nach sich, jedes blätterte zehn weitere auf...
    Es war wie ein Wolkenbruch. Er saß verstört und benommen am Strand. Der Sultan... sein Sultan... wie lange hatte er ihn schon im Stich gelassen?
    Da sprang er auf! Er jagte über die Steppe — ein Sturmwind — , den Kopf vorgestreckt. Und seine Schwanzspitze peitschte den Boden.
    Er erreichte sein Zuhause keuchend, mit tobendem Herzen. Sie spürte, daß der Augenblick gekommen war, vor dem sie sich gefürchtet hatte — und nun sagte sie ihm, was sie bisher für sich behielt: »Löwe, du wirst Vater!«
    »So ist das also,« brummte er, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, »so ist das also...«
    »Freust du dich nicht?«
    »Aber natürlich... aber ja...«
    »Denk dir nur: eins, zwei, drei, fünf, sieben... ach, was weiß ich, wie viele reizende, kleine kugelrunde Löwenbabys, lauter Jungens natürlich, und alle so schön wie du!«
    Da war er von dieser Aussicht so überwältigt, daß er seine anderen Sorgen vergaß. Er liebkoste seine Frau. Sie sprachen miteinander über ihre herrliche Zukunft — ach, es werden prächtige Kinder sein! Und er wird ein Mustervater! Und von jetzt ab mußte er doppelt für seine Frau sorgen, sie schützen, umhegen, bis die Babys da waren...
    Und dann fiel ihm der Sultan wieder ein!
    »Es ist furchtbar, oh, es ist schrecklich«, stöhnte er.
    »Was denn? Es ist doch alles so schön! Sag mir, was dich bedrückt!«
    Er berichtete ihr alles, sprach eine ganze Nacht.
    Als er endete, ging die Morgensonne auf.
    »Schwierig, sehr schwer ist das«, seufzte er.
    »Was soll ich tun? Ich muß zum Sultan, und koste es mein Leben! Ich muß bei dir bleiben, und koste es mein Leben... ich müßte mich in zwei Teile zerspalten: Der eine bleibt bei dir, der andere fährt weg...«
    Sie legte ihren Kopf auf die Tatzen. Ihr Herz war schwer. Sie verstand ihn — und auch wieder nicht! War er nicht jetzt ihr Mann? — Lange lagen sie so da und überließen sich ihren Gedanken.
    Endlich meinte er: »Einfach wäre alles, wenn ich dich nach Sultanien bringen könnte! In die Obhut meiner Freunde. Aber ich weiß nicht, was inzwischen dort geschehen ist! Ob der Sultan noch lebt? Ist er zurückgekehrt?«
    »Und wenn du es wüßtest, wie sollten wir wohl hinkommen?«
    Er seufzte. Dann stand er auf und reckte sich. »Ich muß mich ein wenig bewegen. Vielleicht kommt mir dabei ein Gedanke!«
    Sie nickte.
    Er trottete davon. Er trabte zum Ufer. Er setzte sich ans Wasser und schaute den Wellen zu, die heraufgespült wurden und wieder zurücksanken. Hier mußte er die Lösung seiner Probleme finden.
    Aber er hörte nichts als das Brausen des Windes und das krächzende Kreischen vieler Vögel.
    Möwen waren es, Möwen...

Ein hilfreicher Rat

    »He — ich träume — oder bist du es? Löwe, der sich auf mich reimt, auf mich, Möwe...«, rief es plötzlich über ihm.
    Er schielte empor.
    Ein weißer Vogel mit schwarzem Kopf stürzte pfeilschnell nieder ins Wasser, tauchte wieder auf und schaukelte vergnügt auf den kleinen
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