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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar
Autoren: Jules Verne
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fiel in das Gouvernement Semipalatinsk ein, woselbst die zu schwachen Kosakenposten sich vor seiner Uebermacht hatten zurückziehen müssen. Sogar über den Balkhachsee drang er vor und riß die Kirghisenbevölkerung mit sich fort. Raubend, sengend und brennend, wälzte sich der Schwarm von Stadt zu Stadt. Wer sich unterwarf, ward eingereiht in’s Herr, wer Widerstand leistete, umgebracht. So drang er vor, gefolgt von den unausbleiblichen Anhängseln eines orientalischen Souveräns, seiner aus den Frauen und Sklaven bestehenden Hausdienerschaft, – immer mit der gedankenlosen Tollkühnheit eines modernen Gengis-Khan.
    Wo stand er in diesem Augenblicke? Bis wohin waren seine Schaaren zu der Stunde vorgedrungen, als die Nachricht von dem Einfall nach Moskau gelangte?
    Bis zu welchem Punkte in Sibirien hatten die russischen Truppen zurückweichen müssen? – Niemand vermochte das zu sagen. Die Verbindungen waren gestört. Hatten den Draht zwischen Kolyvan und Tomsk aber nur einige Reiter aus der Vorhut der Tartarenarmee zerschnitten oder überzog schon der Emir selbst die Provinzen von Jeniseisk? Stand das ganze südliche Westsibirien in Flammen? Reichte die Empörung schon bis nach den Gebieten im Osten? – Keiner wußte es. Der einzige Kundschafter, der weder die Kälte noch die Hitze fürchtet, weder die Rauhigkeit des Winters, noch die verdorrende Gluth des Sommers, und der dahin fliegt mit der rasenden Schnelligkeit des Blitzes, der elektrische Funke, konnte nicht mehr durch die Steppen laufen, war außer Stande, den Großfürsten zu benachrichtigen von der Gefahr, die ihm in Irkutsk durch den Verrath Iwan Ogareff’s bedrohte.
    Nur ein Courier konnte den unterbrochenen Strom einigermaßen ersetzen. Dieser Mann bedurfte einer gewissen Zeit, um die 5200 Werst (= 5523 Kilom.) von Moskau bis Irkutsk zurückzulegen. Er mußte, um die Haufen der Rebellen und der Feinde zu durchbrechen, einen so zu sagen übermenschlichen Muth und eben solche Klugheit entwickeln. Doch, mit Kopf und Herz kommt man ja weit!
    »Werde ich diesen Kopf und dieses Herz finden?« fragte sich der Czar.
Drittes Capitel.
Michael Strogoff.
    Bald öffnete sich die Thür des kaiserlichen Cabinets und der Huissier meldete den General Kissoff.
    »Nun, der verlangte Courier? fragte rasch der Czar.
    – Ist schon da, Sire, antwortete der General.
    – Du hast einen geeigneten Mann gefunden?
    – Ich wage, mich Ew. Majestät dafür zu verbürgen.
    – Stand er in Palastdiensten?
    – Ja, Sire.
    – Du kennst ihn?
    – Persönlich: und mehrmals hat er schon schwierige Missionen zur Zufriedenheit ausgeführt.
    – Im Auslande?
    – Gerade in Sibirien.
    – Woher ist er?
    – Aus Omsk, also selbst ein Sibirier.
    – Er besitzt kaltes Blut, Intelligenz und Muth?
    – Gewiß, Sire, er besitzt alle Eigenschaften, auch da zu reussiren, wo Andere vielleicht scheitern könnten.
    – Wie alt?
    – Dreißig Jahre.
    – Es ist ein gesunder, kräftiger Mann?
    – Sire, er vermag Frost, Hunger, Durst und Anstrengung bis zum Aeußersten zu ertragen.
    – Er hat einen Körper von Stahl?
    – Ohne Zweifel, Sire.
    – Und ein Herz? …
    – Ein Herz von Gold.
    – Sein Name?
    – Michael Strogoff.
    – Ist er bereit abzureisen?
    – Im Saale der Garden erwartet er Ew. Majestät Befehle.
    – Er soll hierher kommen,« sagte der Czar.
    Einige Augenblicke später trat Michael Strogoff in das Cabinet des Kaisers ein.
    Michael Strogoff war hochgewachsen, kräftig, hatte breite Schultern und eine volle Brust: Sein mächtiger Kopf zeigte die besten Merkmale kaukasischer Race. Seine wohlgebildeten Gliedmaßen erschienen wie eben so viel mechanische Hebel zur sicheren Ausführung kräftiger Bewegungen. Der äußerlich ansprechende Mann mit gewinnendem Auftreten schien nicht leicht wider Willen aus seiner Stellung gebracht werden zu können, denn wenn er seine Füße auf den Boden gesetzt hatte, schienen sie schon mehr darin zu wurzeln. Auf seinem nicht eben kleinen Kopf mit breiter Stirn kräuselte sich üppiges Haar, das in Locken herabfiel, wenn er es mit der moskowitischen Mütze bedeckte. Veränderte sich sein gewöhnlich etwas blasses Gesicht, so geschah das nur, wenn ihm das Herz schneller schlug, unter dem Einflusse einer beschleunigten Blutcirculation, welche jenes lebhafter färbte. Seine tiefblauen Augen mit geradem, offenem und sicherem Blicke glänzten unter dem vollen Bogen der durch ihre Muskeln etwas zusammengezogenen Augenbrauen und verriethen seinen Muth,
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