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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar
Autoren: Jules Verne
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es ihm dann, sein Vertrauen zu gewinnen, so wird er, wenn die Tartaren Irkutsk angreifen, die Stadt ausliefern, nebst meinem Bruder, dessen Leben unmittelbar bedroht ist. Das sind die Nachrichten, welche ich erhielt, die aber der Großfürst nicht kennt und folglich sofort erfahren muß!
    – Nun wohl, Sire, ein tüchtiger, muthiger Courier …
    – Den erwarte ich.
    – Und beeilen muß er sich, fügte der Chef der Polizei hinzu, denn Sie gestatten mir auszusprechen, Sire, daß dieses ganze Sibirien zur Rebellion sehr geneigt ist!
    – Glaubst Du, General, daß die Sträflinge mit den Feinden gemeinschaftliche Sache machen könnten? rief der Czar, der bei dieser Andeutung des Polizeichefs ganz außer sich gerieth.
    – Verzeihung, Majestät! …. entgegnete stammelnd der Chef des Polizeiwesens, denn wirklich war das der Gedanke gewesen, der in seinem unruhigen und mißtrauischen Kopfe aufgestiegen war.
    – Ich traue den Verbannten mehr Vaterlandsliebe zu! erwiderte der Czar.
    – In Sibirien befinden sich auch andere Sträflinge, als die politischen Verbannten, antwortete der Polizeichef.
    – Die Verbrecher! O, General, die überlasse ich Dir! Das ist der Auswurf des menschlichen Geschlechts; diese haben überhaupt kein Vaterland. Die Erhebung, oder vielmehr der Einfall, ist aber nicht gegen den Kaiser gerichtet, sondern gegen Rußland, gegen die Heimat, welche die Verbannten doch noch einmal wieder zu sehen hoffen, und die sie wieder sehen werden! ….. Nein, Nein, nie wird ein Russe sich auch nur eine Stunde lang mit einem Tartaren verbinden, um die moskowitische Macht zu untergraben und zu schwächen!«
    Der Czar war berechtigt, an den Patriotismus Derjenigen zu glauben, die seine Politik zeitweilig verbannt hatten. Jene Milde, der Grundzug seiner Justiz, wenn er dieselbe selbst handhabte, die weitgehenden Erleichterungen bei Ausführung der früher so schrecklichen Ukase garantirten ihm, daß er sich hierin nicht täusche. Aber auch ohne diese mächtige Beihilfe zu einem Erfolge der Tartaren-Invasion gestaltete sich die Sachlage überaus ernst, denn es stand mindestens zu befürchten, daß sich ein großer Theil der Kirghisenbevölkerung den Angreifern anschließen werde.
    Die Kirghisen zerfallen in drei Horden, die Große, die Kleine und die Mittlere, und zählen etwa 40,000 »Zelte«, d.h. gegen 2,000.000 Seelen. Von diesen verschiedenen Tribus sind die Einen ganz unabhängig, Andere erkennen entweder die russische Oberhoheit an, oder die der Khanate von Khiwa, Khokhand oder Bukhara, d.h. der mächtigsten Häuptlinge von Turkestan. Die Mittlere Horde, die rechte, ist übrigens auch die bedeutendste und ihre Lager bedecken den ganzen Raum zwischen den Wasserläufen des Sora-Su, des Irtysch, des oberen Thim und dem Hadisang-und Aksakalsee. Die Große Horde, welche die östlich von der Mittleren gelegenen Gegenden bewohnt, dehnt sich bis zu den Gouvernements Omsk und Tobolsk aus. Empörten sich diese Kirghisenvölker, so überschwemmten sie das asiatische Rußland und rissen Sibirien östlich vom Jenisei los.
    Zwar sind diese Kirghisen nur Neulinge in der Kriegskunst und weit mehr nächtliche Räuber oder gewohnt, die Karawanen zu überfallen, als reguläre Soldaten. Levchine sagte von ihnen: »Eine geschlossene Front oder ein Quarré tüchtiger Infanterie widersteht einer zehnfach größeren Anzahl Kirghisen und eine einzige Kanone richtet sie in Massen zu Grunde.«
    Das mag wohl wahr sein, aber erst ist es doch nöthig, daß ein Quarré Infanterie in dem empörten Lande bei der Hand sei und daß die Feuerschlünde die Artillerieparks der russischen Provinzen verlassen, welche immerhin zwei-bis dreitausend Werst entfernt sind. Außer auf der directen Straße von Jekaterinburg nach Irkutsk sind aber die häufig sumpfigen Steppen nur schwierig passirbar, und mehrere Wochen mußten unzweifelhaft vergehen, bevor die russischen Truppen in die Lage kamen, die Tartarenhorden zu Paaren zu treiben.
    Omsk, das Centrum der Militärorganisation von Westsibirien, dazu bestimmt, die Kirghisenbevölkerung in Respect zu erhalten. Dort verlaufen die Grenzen, welche die halbunterjochten Nomaden wiederholt verletzt haben, und im Kriegsministerium nahm man nicht ohne Ursache an, daß Omsk schon sehr bedroht sei.
     

    »Verzeihung Majestät!« (S. 22.)
     
    Die Linie der Militärcolonien, d.h. der Kosakenposten, welche von Omsk bis Semipalatinsk vertheilt sind, war gewiß an verschiedenen Punkten durchbrochen, und es stand zu
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