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Der Computer und die Unsterblichen

Der Computer und die Unsterblichen

Titel: Der Computer und die Unsterblichen
Autoren: Alfred Bester
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jenen, die von den Siedlern des neunzehnten Jahrhunderts in den nordamerikanischen Prärien gebaut wurden. Sie lag im dichten Wald der mittleren Klimazone an einem unzugänglichen Berghang. Das Dach war aus Zweigen und Blättern, durch die dünner Rauch von einem Feuer abzog, und Hic-Haec-Hoc kauerte sprungbereit wie ein Raubtier zwischen selbstgefertigten Werkzeugen und Gerätschaften.
    Nun, natürlich kenne ich auch die geläufigen Assoziationen. Sagt man »Neandertaler«, so stellt sich dank Hollywoods unverdrossenem Bemühen das Vorstellungsbild eines keulenschwingenden, in Felle gehüllten Höhlenmenschen ein, der eine blonde Schönheit bei den Haaren hinter sich her schleift. Damit tut man ihnen sicherlich Unrecht, denn schließlich war es der Homo sapiens, der den Neandertaler verdrängte und ausrottete. Der Homo neanderthalensis konnte wegen der unzureichenden Muskulatur des Mundes und der Kehle nicht sprechen, aber sein Schädelvolumen stand dem des neuzeitlichen Menschen um nichts nach. Betrachtet man die Rekonstruktionsversuche der Anthropologen, so gewinnt man immerhin eine annähernde Vorstellung von Hics Erscheinung: ein stämmiger, muskelbepackter, zugleich stumpfsinnig und kriegerisch dreinblickender Schwergewichtsboxer kurz vor dem k.o.
    Ich weiß nicht genau, ob er mich erkannte, aber er verstand meine Zeichen und Grunzlaute. Ich war so vorausblickend gewesen, eine Jackentasche mit Süßigkeiten zu füllen, und jedesmal, wenn er den Mund öffnete, steckte ich einen Bonbon oder Praline hinein, was ihn begeisterte.
    Es war ein höllisches Gespräch, nichts als Kehllaute, Grunztöne und Gesten, aber Hic verstand. Abstraktes Denken mag ihm schwerfallen, und er neigt zu unkontrollierten und manchmal ein wenig beängstigenden Gefühlsausbrüchen, doch kann man ihn nicht dumm nennen. Außerdem halfen die Süßigkeiten.
    Nach langem Grunzen, Kratzen, Sinnen und Stirnrunzeln, und nachdem ich versprochen hatte, ihn später wieder zurückzubringen, war er endlich bereit, seine haarige Nacktheit mit einem Anzug zu bedecken, sein Heim zu verlassen und mit uns in den Hubschrauber zu steigen. Unterwegs in die Zivilisation, sagte Natoma nach sorgfältiger Inspektion: »Er muß von oben bis unten rasiert werden. Dann können wir ihn im Flugzeug als deinen schwachsinnigen Bruder ausgeben.«
    Im Schutz der Dunkelheit gelang es uns, Hic-Haec-Hoc ohne Aufsehen in unser Hotel zu bringen, wo wir ihn mit vielen Zeichen und Süßigkeiten überredeten, sich baden und rasieren zu lassen. Er mochte Natoma und fühlte sich bei ihr wohl. Vielleicht hatte er nie eine Mutter gehabt. Da er auch am Bad großes Gefallen fand, folgerte ich, daß es sein erstes war.
    Der Flug nach Mexiko verlief ohne ernste Zwischenfälle. Großzügige Trinkgelder und unsere fürsorgliche Zuwendung verhalfen unserer Version vom schwachsinnigen Bruder zu voller Glaubwürdigkeit, und Hic tat ein übriges, indem er sich sehr gesittet verhielt. Es gab nur eine Schwierigkeit: er mochte nichts von den fabrikmäßig hergestellten, chemisch aufgemöbelten Tiefkühl-Fertiggerichten, die an Bord serviert wurden, und begann in seinem Hunger alles mögliche zu essen: Servietten, Handgepäck, Bücher, Spielkarten. Wir mußten ständig auf der Hut sein (er aß übrigens meine Uhr), daß er nicht die Sitzlehne seines Vordermanns zerkleinerte und kaute.
    Nach der Landung in Mexiko City nahmen wir einen Hubschrauber in die Stadt, um dort einen Magnetkissenzug nach Norden zu besteigen. Der Hubschrauber stürzte kurz nach dem Start ab, und Nat warf sich schützend über mich. Mein Stolz war verletzt, aber sie murmelte etwas von Lepcer, und damit war alles erklärt. Wir versuchten es mit einem Luftkissentaxi, aber statt uns zum Bahnhof zu bringen, krachte es gegen einen Lichtmast. Als wir schließlich im Zug saßen, brach ein Brand aus, und wir mußten Hals über Kopf aus der qualmerfüllten Bahnhofshalle fliehen. Ich hatte inzwischen begriffen.
    »Er ist wieder oben«, sagte ich zu Natoma.
    Sie nickte stumm. Sie wußte, wen und was ich meinte, und es tat ihr weh.
    »Das Netz ist wieder in Aktion«, sagte ich.
    »Aber wie kann es wissen, wo wir sind?«
    »Vermutlich hat das Flugzeug uns verraten. Jetzt ist das Netz hinter uns her.«
    »Was sollen wir tun?«
    »Elektronik und Maschinen meiden. Zu Fuß nach Norden gehen.«
    »Zweitausend Kilometer?«
    »Vielleicht finden wir unterwegs irgendein stummes Transportmittel. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.«
    So zogen
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