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Der Coach

Titel: Der Coach
Autoren: John Grisham
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hatten, und kam schließlich zu einem noch unbesetzten Klappstuhl, der unter seinem Gewicht zusammenzubrechen drohte. Als er schließlich ruhig auf seinem Platz saß, liefen ihm Tränen über das Gesicht.
    Pastor McCabe wartete, bis sich alles wieder beruhigt hatte. An diesem Tag sollte es keine Hektik geben, niemand schaute auf die Uhr. Er bog noch einmal das Mikrofon zurecht und sagte dann: »Eine von Coach Rakes liebsten Bibelstellen war der dreiundzwanzigste Psalm. Vergangenen Montag haben wir ihn gemeinsam gelesen. Besonders gefielen ihm folgende Verse: ›Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.‹ Eddie Rake führte ein Leben ohne Furcht. Seinen Spielern brachte er bei, dass den Zaghaften und Ängstlichen kein Platz bei den Siegern gebührt. Wer kein Risiko eingeht, wird auch nicht belohnt. Vor wenigen Monaten musste Coach Rake die Tatsache akzeptieren, dass sein Tod unausweichlich war. Er fürchtete sich nicht vor der Krankheit und auch nicht vor dem Leiden, das ihm bevorstand. Er fürchtete sich nicht davor, den Menschen, die er liebte, Lebewohl zu sagen. Er fürchtete sich nicht davor zu sterben. Sein Glaube an Gott war stark und unerschütterlich. Oft sagte er zu mir: ›Der Tod ist nur der Anfang.‹«
    Pastor McCabe verbeugte sich leicht und trat vom Rednerpult zurück. Auf dieses Zeichen hin begann der Frauenchor einer schwarzen Kirchengemeinde zu summen. Die Mitglieder trugen rotgoldene Gewänder, und nach kurzer Einstimmung sangen sie eine lebhafte Version von »Amazing Grace«. Die Musik löste Gefühle aus, wie es bei solchen Anlässen eben geschieht. Und sie rief Erinnerungen wach. Schon bald war jeder Spartan in seine eigenen Gedanken an Eddie Rake versunken.
    Wann immer Neely an Rake dachte, fielen ihm als Erstes der Schlag ins Gesicht ein, die gebrochene Nase, der Schwinger, mit dem er seinen Coach k.o. geschlagen hatte, und die dramatische Schlacht um den Meistertitel. Und jedes Mal zwang er sich weiterzudenken, diesen schmerzlichen Moment beiseite zu schieben und sich an die guten Zeiten zu erinnern.
    Nur selten gelingt es einem Coach, seine Spieler dazu zu bringen, in allem, was sie tun, nach seiner Anerkennung zu streben. Seit Neely in der sechsten Klasse zum ersten Mal ein Spielertrikot angezogen hatte, sehnte er sich nach Rakes Aufmerksamkeit. Jeder Pass, den er warf, jeder Trainingslauf, jeder Spielzug, den er lernte, jede Hantel, die er hob, jede Stunde, in der er schwitzte, jede Rede, die er vor dem Spiel an die Teamkameraden hielt, jeder Touchdown, den er erzielte, jedes Spiel, das er gewann, jede Versuchung, der er widerstand, jede Auszeichnung, die er erhielt – alles diente in den folgenden sechs Jahren nur dem Zweck, Eddie Rakes Anerkennung zu bekommen. Er freute sich auf Rakes Gesicht, wenn er einmal die Heisman Trophy bekommen würde. Er träumte von Rakes Anruf, wenn das Tech’s-Team Landesmeister sein würde.
    Doch ebenso selten gelingt es einem Coach, jedes Versagen nicht noch schlimmer erscheinen zu lassen, obwohl man schon lange nicht mehr für ihn spielt. Als die Ärzte Neely sagten, er werde nie mehr spielen, hatte er das Gefühl, die Erwartungen enttäuscht zu haben, die Rake in ihn gesetzt hatte. Als seine Ehe scheiterte, sah er förmlich vor sich, wie Rake missbilligend das Gesicht verzog. Und während er sich ohne besonderen Ehrgeiz als kleiner Immobilienmakler durchschlug, wusste er, dass Rake ihm diesbezüglich den Kopf gewaschen hätte, wäre er nur in der Nähe gewesen. Vielleicht würde Rakes Tod ja den Dämon austreiben, der ihn verfolgte. Doch er hatte seine Zweifel daran.
    Als der Chor verstummte, trat Ellen Rake Young, die älteste Tochter, mit einem Blatt Papier an das Rednerpult. Wie ihre Schwestern hatte auch sie die weise Entscheidung getroffen, Messina sofort nach der Schule zu verlassen, und sie kam nur noch zu familiären Anlässen her. Der Schatten des Vaters reichte zu weit, als dass seinen Kindern in einer so kleinen Stadt ein unabhängiges Leben möglich gewesen wäre. Ellen war Mitte vierzig, Psychiaterin, lebte in Boston und fühlte sich hier ganz offensichtlich fehl am Platz.
    »Im Namen meiner Familie möchte ich Ihnen allen für Ihre Gebete und Ihre Unterstützung während der vergangenen Wochen danken. Mein Vater ist tapfer und mit großer Würde gestorben. Obwohl seine letzten Jahre hier nicht seine besten waren, hat er die Stadt doch geliebt, und vor
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