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Der Clan

Titel: Der Clan
Autoren: Unbekannter Autor
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ein. »La Signora schickt mich, um dir beim Ankleiden zu helfen und dich hinunterzubringen.«
    Ich setzte mich im Bett auf, zog die Decke über meine Beine und lächelte Cindy zu.
    Sie wußte, was ich dachte. Mutter hatte es wirklich in sich.
    Es war noch über eine Stunde bis zum Essen. Es eilte überhaupt nicht mit dem Anziehen. Aber brave Mädchen bleiben nicht allzulang im Schlafzimmer eines italienischen Jungen. Das schickt sich nicht.
    Beim Abendessen merkte ich zu meiner Überraschung, daß ich Hunger hatte wie ein Wolf. Mutter hatte mich auch richtig verwöhnt. Die pasta war genauso, wie ich sie liebte: al dente. Kernig gekocht, nicht weich und breiig. Und in der Sauce war alles drin. Scharfe Würstchen, milde Würstchen, grüne, leicht in Öl angebratene Paprika, Fleischklößchen, vermischt mit feingehacktem Schweinefleisch, geviertelte italienische Tomaten in kräftiger roter Sauce mit genau dem richtigen Duft von Oregano und Knoblauch. Das Ganze hatte nur einen Fehler. Wie gewöhnlich war es zu süß. Es ist echt sizilianisch, viel Zucker dranzutun.
    Aber ich vertilgte es, als hätte ich Angst, das Essen könnte mir auskommen. Ich war zu hungrig, um herumzumeckern.
    Mutter schaute mich stolz an. »Schmeckt dir die Sauce?«
    Ich nickte mit vollem Mund. »Großartig!«
    »Sie hat sie zubereitet. Ganz allein.«
    Ich sah Cindy an und fragte mich, ob ich ihr wohl sagen dürfte, sie sollte mit dem Zucker sparsam umgehen, wenn Mutter sie nochmals kochen ließ. Cindys eigene Worte machten diesen Gedanken zunichte.
    »Das ist von deiner Mutter nur so freundlich gesagt. Ich habe bloß in den Topf getan, wie sie mir gegeben hat, und ab und zu umgerührt.«
    Das hätte ich nur denken können. »Jedenfalls schmeckt es herrlich«, sagte ich.
    »Ein paar Wochen mit mir zusammen«, sagte Mutter, »und ich mache aus ihr eine echt sizilianische Köchin.«
    Die pasta wirkte besser als Schlaftabletten. Eine halbe Stunde nach dem Essen fielen mir mitten in der Lieblingsfernsehshow meiner Mutter die Augen zu. Ich ging schlafen.
    Am nächsten Morgen war Sonntag, und da war es üblich, daß die ganze Familie einschließlich Gianni zur Zehn-Uhr-Messe ging. Diesen Sonntag wurde das geändert, weil mich meine Mutter nicht allein im Hause lassen wollte.
    Gianni ging um neun Uhr zur Messe, und meine Eltern gingen um zehn, als er zurückkam. Weil ich Cindy suchte, erklärte mir Gianni mit diskret verstehendem Lächeln in den Augen, sie sei mit ihnen gegangen.
    Ich ging brummend in mein Zimmer. Jetzt wußte ich, daß es mir besser ging. Ich hatte verdammt Appetit auf Cindy, aber Mutter arbeitete erstklassig.
    Ich muß wieder eingeschlafen sein, denn als ich die Augen aufschlug, stand Vater an meinem Bett.
    Er bückte sich und küßte mich auf die Stirn. »Wenn du dich gut genug fühlst, könnten wir in den Behandlungsraum gehen, und ich nehme dir die Verbände ab.«
    »Gehen wir«, sagte ich.
    Ich saß mit baumelnden Beinen auf dem Untersuchungstisch, während er vorsichtig meinen Kopfverband abnahm. Dann schälte er so sanft wie möglich das Pflaster ab, das meinen Nasenverband festhielt. Ebenso bedächtig entfernte er Pflaster und Verband von meinem Backenknochen, der einen Seite meines Kinns und meinem linken Ohr.
    Er nahm ein Fläschchen und goß etwas Flüssigkeit auf einen Wattebausch. »Das wird ein wenig brennen«, sagte er, »aber ich möchte dich säubern.«
    Es war die übliche Berufsuntertreibung. Es brannte teuflisch, doch er arbeitete schnell. Als er fertig war, sah er mich kritisch an. »Nicht allzu schlimm«, lautete sein Urteil. »Sobald du etwas Zeit hast, machst du einen Sprung nach der Schweiz. Dr. Hans bringt das ohne große Mühe wieder hin.«
    Ich stieg vom Tisch und sah mich im Spiegel an der Wand über dem Waschbecken an. Ein sehr vertrautes Gesicht schaute mir entgegen. Plötzlich überkam mich ein gutes Gefühl. Ich war wieder ich selbst. Mit dem anderen Gesicht war ich die ganze Zeit ein anderer gewesen. Jetzt sahen meine Augen nicht mehr alt aus. Sie paßten zum Rest des Gesichts. »Tag, Angelo«, flüsterte ich.
    Und mein Gesicht antwortete leise: »Tag, Angelo.«
    »Was hast du gesagt?« fragte mein Vater.
    »Ich gehe nicht noch einmal zu Dr. Hans«, sagte ich. »Ich glaube, ich behalte dieses Gesicht. Es ist das meine.«
    Montag morgen erwachte ich nervös wie ein Kater. Und das wurde nicht besser. Schon gar nicht, nachdem ich die Morgenzeitung gelesen hatte.
    Da war ein Bericht mit Foto auf der
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