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Der Cartoonist

Der Cartoonist

Titel: Der Cartoonist
Autoren: Sean Costello
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zuwandte,
merkte er, dass seine Beine so weich wie Gummi waren.
    Der Zeichner
stierte vor sich hin, während mit Blut vermischter Speichel aus seinem Mund
sickerte und der Bleistift in seiner Hand Schwindel erregend schnell über die
Seite flog.
    Mit bedrohlich
gebleckten Zähnen torkelte Scott vorwärts, um nachzusehen, was der Alte
zeichnete - und fiel wie ein schlaffer Sack zu Boden, denn seine Beine
gehorchten ihm nicht mehr. Als sein Kinn auf die Fliesen schlug, begann die
alte Wunde erneut zu bluten.
    Jetzt gab es keinen
Zweifel mehr: Der Alte grinste tatsächlich.
    Nach und nach
zog sich Scott bis zu dem widerlichen Kerl im Rollstuhl vor. Mittlerweile
bewegte sich der Bleistift mit
    unfassbarer
Geschwindigkeit. Und das klang wie das weit entfernte Flüstern von Verdammten.
»Was zeichnen Sie? Warum sagen Sie nichts ?« Das
heimtückische Flüstern hörte keinen Moment auf. »Es war ein Unfall. Wir waren
doch nur unreife Jungs ... und hatten furchtbare Angst. Wir haben doch nicht
absichtlich ...«
    Wie irgendein unheimlicher , Furcht erregender Despot hielt
Nicholas Rowe, an seinen Rollstuhl gebunden, inne und starrte in Scotts vom
Wahnsinn gezeichnete Augen. Und einen schrecklichen Augenblick lang hatte Scott
das sichere Gefühl, dass der Alte reden würde. Stattdessen zog er ein einzelnes
Blatt aus dem Klemmbrett und ließ es auf den Boden fallen. Es landete vor
Scotts Augen.
    Es enthielt
mehrere Cartoons: Ein alter Mann lag auf dem Rücken, auf einer Bahre. Sein im
Sterben aufgerissener zahnloser Mund stand offen. Ein wohlbeleibter Arzt in
weißem Laborkittel beugte sich über ihn, um ihm an der Brust die Saugnäpfe für
die Elektroden anzulegen, denn sein Herz sollte durch Stromstöße wieder zum
Schlagen gebracht werden. Auf dem letzten Cartoon war zu sehen, wie es einen
Kurzschluss gab, zwei wie in einem Comic gezeichnete Stichflammen aus den
Elektroden schossen und der Arzt durch den Stromschlag getötet wurde.
    Brian Horner.
    Ein weiteres
Blatt, dessen Skizzen jedes grausame Detail zeigten, flatterte zu Boden.
    Jake Laking.
    Jake Laking,
wie er ein Repetiergewehr vom Ständer holte und mit nach oben nahm, wo seine
Familie beim Fernsehen saß. Wie er es zuerst auf seine Frau, dann auf seine
Kinder und zuletzt auf sich selbst richtete und jedes Mal abdrückte.
    Schließlich
schwebte das aus dem Messingrahmen gerissene Familienfoto aus Scotts Büro auf
den Boden, langsam und in großen Bögen, wie Herbstlaub. Mit Blut war ein großes
X darüber geschmiert.
    Wieder begann
der Bleistift Unheil verkündend zu kratzen. Scott, der inzwischen wie ein Kind
schluchzte, kroch auf die Füße des Alten zu. »Hören Sie auf«, flehte er unter
Tränen. »Hören Sie auf... Sie kann doch gar nichts dafür, kapieren Sie das denn
nicht? Bitte!« Er zog sich auf die Knie hoch und benutzte dabei die Speichen
des Rollstuhls als Stütze.
    Langsam und
wohl überlegt neigte der Alte das Klemmbrett Scott zu, so dass er die gerade
entstehenden Zeichnungen flüchtig sehen konnte. Dabei hielt der Bleistift
keinen Augenblick inne; mit übermenschlicher Schnelligkeit sauste er über das
Blatt, schuf die Umrisse mit derartiger Geschwindigkeit, dass sie sich fast zu
bewegen schienen.
    Ein Kind in
einem Bett. Kath, an deren Hals Atemröhrchen befestigt waren. Jinnie,
die schlaff auf Kaths Brust lag und ihn mit ihren leblosen Puppenaugen genauso
anglotzte wie noch vor wenigen Stunden, als sie unter Kaths Bett im Krankenhaus
gerutscht war.
    Scott befahl
seinen Händen, sich zu rühren, nach dem Klemmbrett zu greifen, es zu schnappen
und auf seine Knie zu legen, damit er diese todbringenden Zeichnungen an sich
nehmen und zu unzähligen dicken Schneeflocken zerreißen konnte. Aber seine
Hände gehorchten ihm nicht. Sie waren kalt, taub und kamen ihm so vor, als
gehörten sie ihm gar nicht.
    Wie ein
Schatten tanzte der Bleistift des Zeichners über das nächste Blatt. Mit jedem teuflischen
Kasten veränderte Jinnie ihre Position, gelangte vom Bett auf den Fußboden, vom
Fußboden aus hinter die künstliche Lunge. Eine Stummelhand griff nach dem
Stecker des Beatmungsgerätes an der Wand...
    »Nein !« , schrie Scott und kämpfte mit aller Kraft gegen die
Schlaffheit und Taubheit in seinen Muskeln an. »Nein!«
    Quälend
langsam, Zentimeter für Zentimeter, näherte sich Jinnies Hand dem Stecker.
Scott konnte sie hinter dem schattenhaft tanzenden Bleistift des Alten
erkennen. Die Hand schloss sich um das Stromkabel ... und hielt plötzlich
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