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Der Bund der Illusionisten 1

Der Bund der Illusionisten 1

Titel: Der Bund der Illusionisten 1
Autoren: Larke Glenda
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die im Laufe mehrerer Jahrhunderte von den besten Künstlern des Exaltarchats geschaffen worden waren. Marmorsäulen leuchteten rosig sowohl im Licht der Morgendämmerung wie auch in den letzten Strahlen der Abendsonne oder schimmerten– wie jetzt– schmerzhaft weiß in der Mittagssonne.
    General Gayeds Grab befand sich nicht im eigentlichen Tempel, sondern am Pilgerweg, der zur Haupttreppe hochführte. Es trug keinerlei kunstvolle Verzierungen; darauf hatte ich bestanden. Eine flache, rechteckige Marmorplatte kennzeichnete das Grab, und dessen einzigen Schmuck bildete eine lebensgroße Statue, in deren Sockel sein Name eingraviert war. Da er Frivolitäten nie geschätzt hatte, hätte er die Strenge des Grabes begrüßt. Ich kniete nieder und betete, auch wenn mein Gebet ungewöhnlich war. Ich sprach zu ihm selbst, nicht zu irgendeinem Gott, und dankte ihm für das Mitgefühl, das ihn dazu veranlasst hatte, mitten im Kriegsgeschehen eine Kriegswaise unter seine Fittiche zu nehmen. Ich dankte ihm für all die Güte, die er mir gewährt hatte. Ich segnete ihn, wie ich es schon so oft getan hatte. Ohne ihn wäre ich als kardische Barbarin aufgewachsen, und diese Vorstellung war immer wieder in einem Alptraum aufgetaucht, den ich in jüngeren Jahren häufig gehabt hatte. Dass ich diesem Schicksal knapp entkommen war, hatte ich ihm zu verdanken.
    Ich verließ Gayeds Grab und ging hinauf in den öffentlichen Bereich des Melete-Tempels.
    Melete war die Patronin der Stadt, die Göttin der Weisheit, der Kontemplation und Introspektion. Es war mir immer etwas seltsam vorgekommen, dass sie als Gottheit für eine Stadt stand, die mit Waffengewalt über alle Lande um das Issische Meer herum herrschte. Es gab mehr als hundert Gottheiten im Pantheon, von denen viele geeigneter gewesen wären. Ocrastes, der vielköpfige Gott des Krieges zum Beispiel. Oder Selede, die Göttin der Geistesschärfe. Aber nein, unsere Gründer hatten Melete gewählt. Es hieß, die Göttin war der Grund, weshalb Tyr zum Zentrum des Lernens und der Gelehrsamkeit geworden war; manche behaupteten sogar, dass die Karyatiden jedes Mal weinten, wenn Tyr eine weitere Nation mit Blutvergießen statt durch Verhandlungen eroberte. Ich selbst gab mich mit solchen Phantastereien nicht ab.
    Ich kaufte etwas parfümiertes Öl an einem der Stände, die den Vorhof des Tempels bevölkerten, und ging weiter in das Heiligtum. Ich reichte der gerade anwesenden Priesterin das Öl, und sie füllte damit eine der Votivlampen der Ehrerbietenden für mich. Ich zündete sie an und kniete zum Gebet vor der Statue von Melete nieder, dann küsste ich ihre kalten, marmornen Füße, wie es schon abertausend Gläubige vor mir getan hatten. Meine Gebete galten dem Erfolg meiner Unternehmungen, und noch mehr meiner eigenen Sicherheit. Ich hatte schon vor langer Zeit erkannt, dass es nicht viel nützte, ein Held zu sein, wenn man tot war.
    Noch während ich betete, fragte ich mich, ob meine Gebete irgendwie von Nutzen sein würden. Die Statue kam mir leblos vor und von Menschenhand erschaffen. Die männliche Vision einer perfekten Frau: Mutter, Hure und Verführerin. Wenn die Gottheiten so mächtig waren, wieso suchten sie uns dann nicht als Personen auf, wie es den Legenden gemäß einst gewesen sein sollte? Die alten Geschichten waren voller Erzählungen von Leuten, die mit den Göttern gesprochen hatten; aber ich hatte nie jemanden getroffen, der zugegeben hätte, dass er eine Gottheit von Angesicht zu Angesicht erlebt hatte. Im Geheimen hegte ich den Verdacht, dass die Götter verschwunden waren. Oder dass sie schon immer die Erfindung von Menschen gewesen waren. Ich wusste, dass das ein Sakrileg war, denn der Tempel erzählte uns, dass wir alle die Schöpfung der Götter waren, und nicht umgekehrt…
    Â» Domina Ligea?«
    Verblüfft wandte ich meine schweifenden Gedanken der Frau zu, die vor mir stand. Antonia, die Hohepriesterin des Tempels. Ich hatte noch nie zuvor mit ihr gesprochen; gewöhnlich unterhielt sie sich nicht mit den Huldigenden. Ich blieb weiter knien und neigte den Kopf. » Geehrte?«
    Ich hatte gehört, dass sie als junges Mädchen zum Tempel gebracht worden war, ausgewählt wegen ihrer außerordentlichen Schönheit und Tugend. Jetzt war sie eher mütterlich als schön, aber dennoch königlich. Und mächtig.
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