Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
interpretieren, da meine Religion nur Antworten gibt, aber keine Fragen duldet.
    Ich habe jedoch meine eigene biblische Welt. Vater Abraham ist beispielsweise der Prophet des Monotheismus, der wutentbrannt die Götzen zerschmetterte. In meinen Augen aber ist er vor allem ein normaler Mensch, der es absurd fand, daß eine Statue aus Ton oder Holz das Universum hätte schaffen können. Der Moses der Physik, Albert Einstein, saß über seinem Papierblock
    und rechnete aus, daß das Universum unendlich ist. Abraham sagte: Auch Gott ist unendlich. Eigentlich bekannte er damit, daß ihm die Geheimnisse des Weltalls verschlossen waren, und alles, was er wußte, war, daß Götzen damit nichts zu tun haben.
    Ähnlich fühlt auch der Satiriker, der Meister des Zweifels. Er weiß nur, daß er nichts weiß. Sein Losungswort ist das Vielleicht. Aber das ist endgültig.
    *
    Jetzt ist es aber höchste Zeit, dem Koautor der Zehn Gebote einige Gedanken zu widmen. In der Weltgeschichte gibt es keine großartigere, aber auch keine widersprüchlichere Gestalt als jenen ägyptischen Prinzen, der die Grundgesetze der Menschheit in der Sprache eines kleinen Sklavenvolkes niedergeschrieben hat. Sein Lebenswerk ist ebenso übermenschlich wie das des englischen Metzgersohnes, Shakespeare genannt, oder des Zimmermannssohnes aus Nazareth. Der große englische Dichter war seiner Zeit um Generationen voraus, Jesus und Moses ihrer gleich um Zeitalter.
    Die beiden großen Religionsstifter ähneln sich stark, obwohl Moses sich Gottes Diener nannte und Jesus den Herrgott seinen Vater. Beide vollbrachten Wundertaten, und wenn jemand einen symbolischen Beweis für die Ähnlichkeit sucht, kann er ihn in jenem Augenblick finden, als Moses während des Kriegs gegen Amalek auf der Bergspitze wie ein lebendiges Kreuz mit seitlich ausgestreckten Armen erschien.
    Das Geheimnis um Moses beschäftigt die Menschheit seit Jahrtausenden, ohne daß bisher eine befriedigende Antwort gefunden wurde. Sigmund Freud zum Beispiel zweifelte an Moses' jüdischer Abstammung und behauptete, er sei von dem enttäuschten Sklavenvolk ermordet worden. Es ist wirklich schwer, die Widersprüche in Moses' Erscheinung anders als durch das Eingreifen einer höheren Macht zu interpretieren.
    Er war ein Prinz im Palast des Pharao, warum also mußte er sich den Sklaven anschließen und warum, um Gottes willen, wollte er ausgerechnet ihr Führer sein? Wenn man Moses nach seinen fünf Büchern beurteilt, war er ein ungewöhnlich penibler Beamter, der nicht nur die exakten Maße der Stiftshütte pedantisch vorgegeben hat, sondern sich auch noch darum kümmerte, daß ein Esel und ein Ochse nie gemeinsam einen jüdischen Pflug zogen, weil das dem Esel gegenüber ungerecht gewesen wäre. Moses war auch ein genialer Gesetzgeber und einfühlsamer Psychologe, aber in seinen Wutanfällen begann er zu stottern. Als Demokrat ernannte er 70 Weise, um das Volk zu führen, und als Romantiker nahm er den Sarg von Joseph mit in die Wüste. Jeden Aufstand aber schlug er unerbittlich nieder nach seiner vielzitierten These »Auge um Auge, Zahn um Zahn«. Er fürchtete und ehrte Gott, was ihn jedoch nicht hinderte, endlos mit Ihm zu debattieren. Zu Anfang wollte er die Mission, die Gott ihm zugedacht hatte, nicht annehmen: »Wer bin ich, daß ich die Kinder Israels aus Ägypten führe?« fragte er. »Wenn ich zu ihnen komme und sage, Gott hat mich zu euch gesandt, und sie mich fragen, wie ist Sein Name, was soll ich ihnen sagen?« Gott war außerordentlich geduldig: »Sag den Kindern Israels Meine Antwort. Ich bin, der Ich bin.« Allen brauchbaren Schriften zufolge war Moses der einzige Mensch, der Gott sehen durfte, wenn auch nur von hinten. Das Verhältnis der beiden zueinander war schließlich nicht immer das beste. Oftmals wies Gott Moses zurecht: »Willst du etwa, daß Ich dich in Ruhe lasse, während Ich alles selbst erledige?«
    Eine gewichtige Rolle in Moses' ereignisreichem Leben spielte der kluge Jethro, der Moabiter, sein späterer Schwiegervater. Eigentlich war er die graue Eminenz hinter Moses. Jethro machte ihn zum Beispiel darauf aufmerksam, welchen Pöbel er aus Ägypten mitgeschleppt hatte. »Warum mußt du ganz allein da sitzen, und alles Volk steht um dich herum vom Morgen bis zum Abend?« fragte er Moses besorgt. »Du machst dich zu müde, dazu auch das Volk, du kannst es allein nicht ausrichten. Vertritt das Volk vor Gott und bringe ihre Anliegen vor Gott.« Die Idee war brillant, denn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher