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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal
Autoren: Unbekannter Autor
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Schrift wurde vom Rechtshänder Moses festgelegt. Er schrieb die Zehn Gebote nicht etwa mit einem Kugelschreiber nieder, sondern meißelte sie mit einem Hammer in Steintafeln. Wäre er Linkshänder gewesen, würde ich heute meine hebräischen Bücher vermutlich von links nach rechts meißeln.
    Da Moses das von Gott geschriebene Original auf dem Boden zertrümmerte, mußte er die Kopie exakt nachmeißeln. Wie die erste Version aussah, können wir heute nur noch vermuten. Viele Theologen glauben der Bibel, in der es heißt, Gott hätte die Gebote tatsächlich mit seinem eigenen Finger eingeritzt. Zumindest hat Cecil B. DeMille es in der lächerlichen Hollywood-Dokumentation »Die Zehn Gebote« so dargestellt und dafür einen Oscar in der Kategorie Spezialeffekte erhalten.
    Das Buch ist übrigens besser als der Film.
    Wer aber hat das Buch der Bücher wirklich geschrieben?
    Wer daran glaubt, daß die Bibel von Gott stammt, muß sich damit abfinden, daß Orthographie nicht gerade seine Stärke war. Sogar seinen eigenen Namen hat Jahve immer wieder anders geschrieben. Das Problem für uns Juden aber ist, daß jede, auch die geringste Korrektur der Heiligen Schrift als Blasphemie gilt. Wir dürfen zwar für die Fehler kunstvolle Ausreden erfinden, sie müssen aber unwiderruflich stehenbleiben.
    Bibelübersetzer haben es da doch um einiges besser. Bereits im 3. Jahrhundert, als der ägyptische König Pto-lemäus in Jerusalem die griechische Bibelübersetzung bei 72 Gelehrten in Auftrag gab, wurden taktvoll weitgehende Korrekturen durchgeführt. Der Hase zum Beispiel wurde von der nichtkoscheren Speisekarte gestrichen, da die Königsmutter einen ähnlichen Namen gehabt haben soll. Die 72 Septuaginta-Weisen hofften offensichtlich auf Moses' ökumenische Fortschrittlichkeit, oder zumindest auf seine kümmerlichen Griechischkenntnisse.
    *
    Der koschere Hase war aber nur ein bescheidener Versuch im Vergleich zu den Kreuzzügen einiger christlicher Übersetzer. Das Zweite Gebot eliminierten sie, ohne mit der Wimper zu zucken. »Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel noch von dem, was unten auf Erden«, so schrieb Moses auf die Tafel, aber die Kirche konnte dem Proteststurm der Bildhauer- und Galeristengewerkschaft offenbar nicht standhalten.
    Und so waren es nur noch neun.
    Um nicht aufzufallen, verlängerten die Kirchenväter die Liste dann wieder auf zehn. Sie halbierten ganz einfach Moses' Zehntes Gebot und trennten das Begehren des Nächsten Immobilien als Nummer 9 vom anderen begehrenswerten Mobiliar wie Knecht, Magd, Rind und Esel als Nummer 10. Auf Moses' Gesetzestafel war zwar noch vom Begehren des Nächsten Weib die Rede, aber dagegen hat sich die Männerlobby gerade noch erfolgreich gewehrt. So fehlt das Weib im Zehnten Gebot gelegentlich, aber der Esel niemals.
    Ich selbst habe durchaus Verständnis für freie Übersetzungen und theologische Reformen, und sicherlich wissen auch die heutigen Religionsführer ganz genau, was den Gläubigen zuzumuten ist. Dennoch ist in Israel bis heute am Sabbat jede Tätigkeit strengstens untersagt. Ausgenommen sind nur die Fußballspiele, deren Verbot viel zu unpopulär wäre.
    Wie geschildert ist also für uns Juden auch die kleinste Änderung in den biblischen Schriften verboten, jeder kann aber seine individuelle Auswahl treffen. Da ich heute das Alte Testament endlich im Original lesen kann, verstehe ich sehr viel besser, warum die Religionslehrer in meinem Budapester Gymnasium so viele pikante Kapitel übersprungen haben, als ständen sie unter Jugendverbot. So etwa das 20. Kapitel der Genesis, wo unser Urvater Abraham seine gesetzlich angetraute Ehefrau Sara als seine Schwester vorstellt, um sie dann an König Abimelech zu einem exorbitanten Preis zu verkaufen. Immerhin blieb das Geld in der Familie. Auch die delikate Geschichte der beiden Töchter Lots, der Nichten Abra-hams, ist nicht unbedingt jugendfrei. Die Mädchen und Papa nahmen Gottes Gebot an Noah, »Geht hin und mehret euch«, in ihrer Notlage etwas zu ernst.
    Abrahams Hagar-Affäre ist auch nicht gerade ein Lieblingsstück der Religionslehrer. Als Sara feststellte, daß sie keine Kinder mehr bekommen kann, hat sie ihren Gemahl zunächst dazu überredet, sein Glück mit der schönen Sklavin Hagar zu versuchen. Als aber Hagar dann den Sohn Ismael gebar, bekam die beste Ehefrau von Abraham einen Wutanfall und schickte das impertinente Flittchen samt Sohn in die
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