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Der blaue Mond

Der blaue Mond

Titel: Der blaue Mond
Autoren: Alyson Noël
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seiner Exfrau Drina war auch schon von vielen anderen die Rede.)
    Und so ungern ich es auch zugebe, dieses Wissen macht mich etwas unsicher.
    Okay, vielleicht auch sehr unsicher. Schließlich kann meine jämmerlich kurze Liste von Jungen, die ich geküsst habe, nicht im Entferntesten mit seinen Eroberungen aus sechs Jahrhunderten mithalten.
    Und obwohl ich weiß, dass es albern ist, obwohl ich weiß, dass Damen mich schon seit Jahrhunderten liebt, sind Herz und Verstand eben nicht immer die besten Freunde.
    In meinem Fall reden sie kaum noch miteinander.
    Trotzdem schaffe ich es jedes Mal, wenn Damen vorbeikommt, um mich zu unterrichten, das Ganze zu einer ausgedehnten Knutschsitzung umzufunktionieren, bei der ich regelmäßig denke: Jetzt! Diesmal passiert es aber wirklich!
    Nur um ihn dann wieder wegzustoßen wie die launischste Zicke.
    Dabei ist es in Wirklichkeit genau so, wie er sagt. Er kann seine Vergangenheit nicht ändern, sie ist, wie sie ist. Wenn etwas einmal geschehen ist, kann man es nicht ungeschehen machen. Es gibt keine Rückspultaste. Kein Zurück.
    In Wirklichkeit kann man immer nur weiter vorwärts gehen.
    Und genau das muss ich tun.
    Den großen Sprung nach vorn wagen, ohne zu zögern und ohne auch nur einmal zurückzuschauen.
    Einfach die Vergangenheit vergessen und meinen Weg in die Zukunft gehen.
    Ich wünschte nur, es wäre wirklich so einfach.
     
    »Ever?« Sabine kommt langsam die Treppe herauf, während ich hektisch durchs Zimmer renne und aufzuräumen versuche, ehe ich mich an meinen Schreibtisch setze und so tue, als würde ich arbeiten. »Bist du noch auf?«, fragt sie und steckt den Kopf herein. Und obwohl ihr Kostüm zerknittert ist, ihre Haare schlaff herunterhängen und ihre Augen leicht gerötet sind, hält sich ihre Aura wacker und glänzt in einem schönen Grünton.
    »Ich habe nur gerade noch eine Hausaufgabe fertig gemacht«, sage ich und schiebe mein Notebook beiseite, als hätte ich es benutzt.
    »Hast du was gegessen?« Sie lehnt sich gegen den Türrahmen und kneift argwöhnisch die Augen zusammen, während ihre Aura nach mir ausgreift - der tragbare Lügendetektor, den sie, ohne es zu wissen, stets mit sich herumträgt.
    »Natürlich«, antworte ich. Ich nicke, lächele und tue mein Möglichstes, um ehrlich zu wirken, doch in Wahrheit fühlt sich meine Mimik falsch an.
    Ich hasse es, lügen zu müssen. Vor allem bei Sabine. Nach allem, was sie für mich getan hat. Schließlich hat sie mich doch nach dem Unfall aufgenommen, bei dem meine ganze Familie ums Leben gekommen ist. Das hätte sie nicht tun müssen. Auch wenn sie meine einzige überlebende Verwandte ist, hätte sie ja trotzdem Nein sagen können. Und glaubt mir, die Hälfte der Zeit wünscht sie sich wahrscheinlich, sie hätte es getan. Ihr Leben war wesentlich unkomplizierter, bevor ich gekommen bin.
    »Ich meinte noch etwas anderes als dieses rote Getränk.« Sie nickt zu der Flasche auf meinem Schreibtisch hin, der schillernden roten Flüssigkeit mit dem merkwürdigen bitteren Geschmack, den ich inzwischen nicht einmal mehr ansatzweise so eklig finde wie früher. Das ist gut, denn laut Damen werde ich das Zeug bis in alle Ewigkeit schlürfen. Es ist nicht so, dass ich kein richtiges Essen mehr vertrage, ich habe nur einfach keine Lust mehr darauf. Mein Unsterblichkeitssaft liefert mir sämtliche Nährstoffe, die ich brauche. Und ganz egal, wie viel oder wie wenig ich trinke, ich bin immer satt.
    Trotzdem weiß ich, was sie denkt. Nicht nur weil ich alle ihre Gedanken lesen kann, sondern weil ich das Gleiche über Damen dachte. Ich habe mich früher richtig über ihn geärgert, wenn er in seinem Essen herumgestochert und nur so getan hat, als würde er essen. Natürlich nur, bis ich sein Geheimnis herausgefunden hatte.
    »Ich, ähm, hab vorhin was gegessen«, sage ich schließlich, wobei ich mich bemühe, weder die Lippen aufeinanderzupressen noch den Blick abzuwenden noch zusammenzuzucken - alles, womit ich mich normalerweise todsicher verrate. »Mit Miles und Haven«, füge ich hinzu, in der Hoffnung, damit das Fehlen schmutzigen Geschirrs erklären zu können, obwohl ich weiß, dass es unklug ist, zu viele Details zu nennen, als würde man ein rotes Leuchtschild mit der Aufschrift »Achtung, Lügner!« schwenken. Ganz zu schweigen davon, dass Sabine als Anwältin, genauer gesagt, eine der Top-Prozessanwältinnen in ihrer Kanzlei, unfassbar gut darin ist, Schwindler zu entlarven, auch wenn sie diese Gabe meist
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