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Der Bilderwächter (German Edition)

Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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beide dürft euren Weiberabend also nach Herzenslust genießen.«
    Ich leckte mir den Honig von den Fingern, trank aus und brachte mein Geschirr zur Spülmaschine.
    » Lass stehn«, sagte Merle. » Ich mach das. Heute muss ich ja nicht so früh los.«
    Mittwochs blieb das Tierheim geschlossen. Da hatten die Mitarbeiter die Möglichkeit, sich ihre Zeit freier einzuteilen als sonst.
    » Danke.« Ich umarmte sie und schmatzte dann Mike einen Kuss auf die Wange. Er hatte sich noch nicht rasiert und seine Haut war kratzig. » Grüß Ilka von mir. Und wenn ich irgendwie helfen kann, gib mir Bescheid, ja?«
    Wenig später hatte ich meine Tasche gepackt und ging in die Scheune. Weil ich mich etwas verspätet hatte, wollte ich meinen Wagen nehmen, um nach Köln zu fahren. Mit ein bisschen Glück würde ich einen Parkplatz finden. Andern gelang das immerhin jeden Tag.
    Wässriger Schnee fiel aus einem bleischweren Himmel. Die Scheibenwischer schichteten ihn auf der Windschutzscheibe zu kleinen Schneewänden auf.
    Mir war kalt und ich drehte die Heizung hoch.
    Ob es in Düsseldorf auch schneite?
    Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr sich unser Leben verändert hatte. Einige von uns verbrachten immer mehr Zeit außerhalb der Wohngemeinschaft. Da konnte es schon passieren, dass wir wichtige Dinge versäumten.
    Wann hatte ich das letzte Mal intensiv mit Mina gesprochen? Wann hatten Ilka und ich uns zuletzt mal für länger zusammengesetzt?
    Was wusste ich überhaupt noch über meine Freunde?
    Diese Gedanken wollten mir nicht aus dem Kopf. Ich nahm sie mit nach Köln und in die Uni. Wo ich sie überhaupt nicht gebrauchen konnte.
    *
    Ilka hatte die halbe Nacht wach gelegen. Schließlich war sie gegen drei Uhr aufgestanden, hatte sich einen großen Becher Milch aufgewärmt und sich damit an eines der drei Fenster gestellt, die zur Straße lagen.
    Die schönen hohen Holzfenster und der alte Dielenboden waren ein Luxus, für den sie dankbar war. Es hatte an ein Wunder gegrenzt, dass sie dieses Zimmer überhaupt gefunden hatte.
    Für die begehrten Apartments in den Wohnanlagen des Studentenwerks gab es endlose Wartelisten, da hatte sie es gar nicht erst versucht.
    Durch einen glücklichen Zufall war sie dann mitten in der City mit einer Studentin ins Gespräch gekommen, die einen Nachmieter für ihr möbliertes Zimmer suchte.
    Und nun war sie hier.
    Das Haus lag in der Inselstraße, direkt am Hofgarten, und Ilka brauchte ihn nur zu durchqueren, um zur Kunstakademie in der Eiskellerstraße zu gelangen. Von dort aus waren es wenige Schritte bis zum Rhein, wohin Ilka sich oft flüchtete, wenn sie Heimweh nach ihrer WG hatte oder Sehnsucht nach Mike – oder wenn sie einfach das heulende Elend überkam.
    Sie hatte nicht mehr so viel Zeit für ihre Mutter, und das bereitete ihr zunehmend ein schlechtes Gewissen. Die Heimleiterin gab sich alle Mühe, ihr das auszureden.
    Eine Tochter wie Sie kann man sich nur wünschen.
    Doch das änderte nichts daran, dass Ilka sich innerlich zerrissen fühlte. Sie war verantwortlich für ihre Mutter, denn sonst gab es nur noch Tante Marei, die hin und wieder bei ihrer Schwester vorbeischaute.
    In sich verkapselt sah Ilkas Mutter den Tagen zu, die vor ihrem Fenster vergingen, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als lausche sie in sich hinein.
    Wo vielleicht all das ruhte, was sie nicht mehr aussprechen konnte.
    Kein Wort. Seit damals.
    Ilka gab sich selbst und Ruben noch immer die Schuld an dem Unfall, der ihren Vater getötet hatte. Er war passiert, direkt nachdem die Eltern das schreckliche Geheimnis ihrer Kinder entdeckt hatten.
    Liebe kann nicht böse sein.
    Wie oft hatte Ruben das gesagt.
    Vielleicht nicht böse, dachte Ilka. Aber falsch.
    Sie hob den Becher an die Lippen und trank. Erinnerte sich beim Geruch und Geschmack der heißen Milch an ihre Mutter, wie sie vor dem Unfall gewesen war. Aufmerksam. Fürsorglich. Liebevoll.
    Tränen traten ihr in die Augen.
    Sie vermisste ihre Mutter. Das, was in der leeren Hülle, die in dem Heim für psychisch Kranke versorgt wurde, noch immer irgendwo verborgen sein musste.
    » Mama …«
    Seit sie den Brief bekommen hatte, tauchten all die Erinnerungen wieder auf.
    Wie abgetragene Schuhe, die jemand in einen Teich geworfen hat und die ein Angler Jahre später zufällig an die Oberfläche holt.
    Bitte, dachte Ilka. Nicht …
    Es hatte so lange gedauert, bis sie ein wenig Frieden gefunden hatte.
    Bis ihre Haare nachgewachsen waren.
    Bis sie gelernt hatte, Mike
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